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Öl-Embargo gegen Russland «Man müsste eigentlich den Markt mit Öl fluten»

Das Erdölembargo gegen Russland nimmt in der EU langsam konkrete Formen an. Wie schwierig wird es für Wladimir Putin, den Krieg in der Ukraine weiterhin zu finanzieren? Für Marcus Keupp, Militärökonom an der Eidgenössischen Militärakademie der ETH, ist das Embargo der falsche Weg, um dem Krieg ein Ende zu setzen.

Marcus Matthias Keupp

Militärökonom

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Marcus Matthias Keupp ist Dozent für Militärökonomie und lehrt seit 2013 an der Militärakademie ( MILAK ) der ETH Zürich. Zu seinem Forschungsschwerpunkt gehört unter anderem die Ökonomie des modernen Wirtschaftskrieges.

SRF News: Inwiefern würde ein Erdölembargo Russlands Kriegsführung schwächen?

Marcus Keupp: Überhaupt nicht. Am Kriegsverlauf wird ein Öl-Embargo gar nichts ändern. Das liegt daran, dass der Krieg von russischer Seite mit Material geführt wird, das längst da ist und auch mit Treibstoffen, die aus der russischen Eigenproduktion stammen. Die beliebte Vorstellung ist: Es gibt sozusagen die böse russische Panzer-Fabrik, wir stecken links den Euro oder den Franken rein und rechts springt der Panzer raus – aber es ist leider nicht so einfach.

Die Ölpreise steigen, seit über ein Erdölembargo nachgedacht wird. Wie kann man verhindern, dass Putin schlussendlich sogar vom Embargo profitiert?

Ich sage immer, man müsste eigentlich den Markt mit Öl fluten. Nichts tut Russland so weh, wie ein niedriger Ölpreis. Dafür müsste man Länder wieder ins Spiel bringen, die jetzt nur sehr wenig produzieren, wie zum Beispiel den Iran.

Nichts tut Russland so weh, wie ein niedriger Ölpreis.

Dafür bräuchte man aber das Atomabkommen, das in Wien derzeit verhandelt wird. Es gäbe schon Möglichkeiten, aber man muss klar sagen: Ein Boykott reduziert zunächst erstmal die Ölverfügbarkeit des Westens – und steigert damit natürlich den Preis.

Wie lange kann sich Russland diesen Krieg noch leisten?

Aus militärischer Sicht noch sehr lange. Russland hat erhebliche Reserven, sowohl was Kampfpanzer angeht, als auch andere Fahrzeuge, ebenso sind die Treibstoffe kein Problem. Natürlich schmälern diese entgangenen Öleinnahmen das Staatsbudget, aber Russland hat zum Beispiel immer noch den nationalen Wohlfahrtsfonds, der immer noch recht gut gefüllt ist. Russland könnte auch umschichten aus anderen Budgets. Also man darf sich nicht vorstellen, dass Russland von heute auf morgen zusammenbricht, wenn man dieses Öl-Embargo auch wirklich durchsetzt.

Warum ist das Stahlwerk in Mariupol so wichtig?

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Keupp: Es ist nicht nur ein Stahlwerk, es ist auch wie in der Schweiz eine gewaltige Schutzanlage, ein Schutzbunker, den man ursprünglich für die Bevölkerung gebaut hat. Das heisst, dieses Werk ist nur oberirdisch ein Stahlwerk, unterirdisch ist es ein riesiges Tunnelsystem. Und dort verstecken sich im Moment die ukrainischen Verteidiger. Sie haben jetzt das ideale Setting für den Häuserkampf oder den Partisanenkampf. Das heisst, wenige Verteidiger können riesige russische Truppenverbände binden. Man schätzt, dass im Moment zehn taktische Bataillonsgruppen nur damit beschäftigt sind, dieses restliche kleine Werk, das noch besteht, zu beschiessen – und trotzdem schaffen sie es nicht. Ein taktisches Bataillon sind etwa 800 Mann mit 150 Fahrzeugen.

Der Angriff intensiviert sich, warum jetzt?
Weil Putin die Zeit ausgeht, er muss bis zum 9. Mai, dem russischen Siegestag im Zweiten Weltkrieg, irgendein Ergebnis präsentieren. Eine Möglichkeit wäre zu sagen, ich habe den letzten Widerstand in Mariupol endgültig gebrochen.

Im Moment wird viel über eine russische Generalmobilmachung spekuliert. Wie wahrscheinlich ist das?
Ich würde zunächst diesen Begriff vermeiden. Das ist ein historischer Begriff aus dem Ersten Weltkrieg. Es geht eigentlich um etwas anderes. Es gibt in Russland das Gesetz über den Kriegszustand. Das erfordert aber eine Bedrohung von aussen. Das heisst, Putin müsste irgendeine Bedrohung konstruieren. Also beispielsweise sagen, die Ukrainer haben uns angegriffen und deswegen erlasse ich jetzt Kriegsrecht. Wenn er das tut, dann bekommt er sehr weitreichende Vollmachten. Er kann dann zum Beispiel Reservisten einberufen, auch Wehrpflichtige. Er kann die Aussengrenzen schliessen, er kann privates Vermögen konfiszieren und auch ausländisches. Dafür müsste er aber zugeben, dass es den Ukrainern gelungen ist, russisches Territorium anzugreifen. Ob er dieses Narrativ dann der Bevölkerung verkaufen kann, dass die Operation wohl doch nicht so gut vorankommt und der Krieg vielleicht doch länger dauert, das ist dann die grosse Frage.

Und doch haben Sie in sehr starker Form beschrieben, wie Sie den Zustand der russischen Wirtschaft sehen.

Das ist richtig. Ich habe von «ökonomischem» Selbstmord gesprochen und ich stehe auch zu dieser Aussage. Kein rationaler Staatsführer würde so etwas tun, nämlich eine Volkswirtschaft, die recht gut in der Entwicklung war, auch sehr gut durch die Pandemie gekommen ist, die auf einem stabilen Wachstumspfad war, wieder so abzuwickeln, zu einer Ökonomie, wo die Menschen auswandern, wo die Produktion zunehmend zum Erliegen kommt, wo ich mich wie in einem Entwicklungsland nur noch auf das Rohstoffgeschäft verlasse. Das hat mit wirtschaftlichem Sachverstand nichts mehr zu tun.

Wo spüren die Russen das Erdölembargo?

Sie spüren es bereits, und zwar insbesondere durch die Inflation. Je nachdem wen sie fragen, ist sie in Russland momentan zwischen 17 und 20 Prozent. Wir haben im Westen alle Angst vor der Stagflation, vor keinem Wachstum mehr und hoher Inflation, aber in Russland ist das bereits Realität.

Zucker ist 20 Prozent teurer, Zwiebeln sind 50 Prozent teurer. Das kommt definitiv bei der Bevölkerung an.

Und wenn sie bedenken, dass die Löhne nominal immer noch die gleichen sind, die werden sich natürlich jetzt entwerten, das gilt auch für die Sparguthaben. Grundnahrungsmittel zeigen das deutlich: Zucker ist 20 Prozent teurer, Zwiebeln sind 50 Prozent teurer. Das kommt definitiv bei der Bevölkerung an.

Das Gespräch führte Florence Fischer.

Tagesschau, 04.05.2022, 19:30 Uhr ; 

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