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Offener Hass gegen Juden Antisemitismus an US-Elite-Unis wird zum Politikum

An amerikanischen Unis häufen sich seit dem Krieg in Nahost antisemitische Vorfälle. Jüdische Studierende werden bedroht und fühlen sich nicht mehr sicher.

In einem Nebengebäude des Kapitols haben sich in den letzten Tagen gleich mehrere Parlamentskommissionen mit dem Thema Antisemitismus an Hochschulen befasst. Besonders im Brennpunkt stehen renommierte Elite-Universitäten wie Harvard, Princeton, Columbia oder auch die Cornell University.

Wenn ihr eine jüdische Person auf dem Campus seht, folgt ihr und schlitzt ihr die Kehle auf.
Autor: Hassnachricht, die an der Cornell University verbreitet wurde

Dort studiert Amanda Silberstein. Sie erzählt, wie ihr und ihren jüdischen Mitstudierenden in Online-Hassnachrichten gedroht wurde. Darin hiess es zum Beispiel, dass auf alle in der einzigen Koscher-Kantine auf dem Campus geschossen werde, dass Häuser und Einrichtungen, die sie besuche, bombardiert würden, schildert Silberstein an diesem Hearing.

In einer anderen Nachricht stand: «Wenn ihr eine jüdische Person auf dem Campus seht, folgt ihr und schlitzt ihr die Kehle auf.» Ein Student wurde inzwischen verhaftet und angeklagt, da er beschuldigt wird, Verfasser dieser Nachrichten gewesen zu sein. Ein Professor wurde suspendiert, da er im Internet die Hamas glorifiziert hatte.

Wenn der Davidstern zum Stigma wird

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Amanda Silberstein spricht in Washington
Legende: Amanda Silberstein spricht im US-Kapitol. Imago Images

Amanda Silberstein sagt, sie habe nie gedacht, dass so etwas an der Cornell University geschehen könnte. Noch vor einem guten Monat habe sie sich keine Gedanken gemacht, ob sie ihre Halskette mit einem Davidstern anziehen oder ihren Computer mit hebräischer Tastatur im Unterricht öffnen soll: «Heute denke ich zweimal darüber nach, und der Gedanke, dass ich für das, was ich bin, verfolgt werde, dass ich anders angesehen und diskriminiert werde, geht mir mehrmals am Tag durch den Kopf.»

Es sei doch nicht normal, dass ihre Grossmutter, die in Israel lebe und andere Familienmitglieder und enge Freunde sich Sorgen um sie machen müssten: «Sie rufen mich täglich an und erkunden sich, ob ich mich sicher fühle, ob andere Studierenden wüssten, dass ich Jüdin bin. Sie leben in einem Kriegsgebiet, in dem ständig Raketen auf sie abgefeuert werden. Und dennoch hält sie meine Sicherheit auf einem amerikanischen College-Campus nachts wach.»

Die Cornell University hat inzwischen die Polizeipräsenz und das Sicherheitsdispositiv verstärkt. Eine andere Studentin, Talia Dror, ist überzeugt, dass es überhaupt so weit gekommen sei, liege auch an der zunächst zögerlichen und zwiespältigen Reaktion der Cornell University.

In ihrer ersten Stellungnahme habe die Universität den Verlust von Menschenleben im Nahen Osten mit Todesfällen durch Naturkatastrophen verglichen, sagt Dror: «Sie liess es zu, dass Spannungen auf dem Campus schwelten, dass Professoren mit Terroristen sympathisierten und dass jüdische Studierende auf ihrem Campus zur Zielscheibe wurden.»

Wir hören von jüdischen Studierenden, die angegriffen oder belästigt werden, von Vandalismus an ihrem Eigentum.
Autor: Kenneth Marcus Vorsteher des Louis Brandeis Center

Die Cornell University ist kein Einzelfall. Kenneth Marcus ist Gründer und Vorsteher des Louis Brandeis Center, einer gemeinnützigen Organisation, die sich für die Bürger- und Menschenrechte von Jüdinnen und Juden einsetzt.

Pro-palästinensische Kundgebung auf dem Campus der Columbia University in New York (15. November).
Legende: An amerikanischen Universitäten schlägt die Solidarität mit den Palästinensern mitunter in Hass gegen jüdische Mitstudierende um. Bild: Pro-palästinensische Kundgebung auf dem Campus der Columbia University in New York (15. November). Spencer Platt/Getty Images

Er sagt, es sei alarmierend, wie die Anzahl von antisemitischen Zwischenfällen an Hochschulen seit dem 7. Oktober in die Höhe geschnellt sei: «Wir hören von jüdischen Studierenden, die angegriffen oder belästigt werden, von Vandalismus an ihrem Eigentum. Und dies nicht nur an einigen wenigen Hochschulen, die man als Hotspots bezeichnen könnte, sondern an so vielen, dass man keinen einzigen sicheren Ort ausmachen kann.»

Untersuchungen gegen Universitäten laufen

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Sämtliche Vorfälle werden dokumentiert und verschiedene Kongressabgeordnete fordern in Briefen an Elite-Universitäten Antworten. Erst letzten Mai hat das Weisse Haus eine Nationale Strategie über den Umgang mit der Antisemitismus-Problematik an Universitäten und Colleges verabschiedet. Die Regierung ist nun daran, eine ähnliche Strategie über den Umgang mit Islamophobie auszuarbeiten.

Wie die Vorfälle zeigen, scheinen die Massnahmen bis jetzt aber nicht oder zu wenig zu greifen. Die Gründe dafür werden untersucht. Ebenso hat ein Sprecher des Erziehungsdepartements inzwischen bestätigt, dass gegen sieben Universitäten und Schulen Untersuchungen zu antisemitischen und islamophoben Zwischenfällen eingeleitet wurden – auch gegen die Cornell University.

Ähnliches beobachtet Adam Lehman, der CEO der Hillel, der weltweit grössten jüdischen Studentenorganisation, die in den USA an rund 700 Hochschulen präsent ist. Er schildert, wie jüdische Studierende auf dem Campus bespuckt, mit palästinensischen Fahnenstangen geschlagen oder körperlich angegriffen wurden, weil sie Plakate zur Erinnerung an israelische Geiseln aufgehängt hatten.

Lehman betont, niemand wolle, dass das Recht auf freie Meinungsäusserung oder die akademische Freiheit beschnitten werde. Es solle Raum für Debatten über den israelisch-palästinensischen Konflikt und andere geopolitische Fragen geben, einschliesslich Raum für diejenigen, die sich für Israelis und Palästinenser einsetzen. «Aber weder die freie Meinungsäusserung noch die akademische Freiheit sind Freipässe für gezielte Belästigung, Bedrohung, Diskriminierung und Gewalt, die sich gegen jüdische und israelische Studierende richten.»

Echo der Zeit, 23.11.2023, 18:00 Uhr

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