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Orthodoxer Kirchenstreit Eine selbstverschuldete Niederlage

Die Worte des Patriarchen von Moskau wirkten verzweifelt. Kyrill, das Oberhaupt der weltweit grössten orthodoxen Kirche, warnte den Patriarchen von Konstantinopel vor dem Jüngsten Gericht, sollte er die ukrainische Kirche als unabhängig anerkennen. Gott werde vom Leiden der orthodoxen Ukrainern gehört haben, welches er über die Gläubigen gebracht habe, schrieb Kyrill.

Die Angst vor Höllenqualen schienen Bartholomeos nicht davon abzuhalten, das Dokument zur Unabhängigkeit der orthodoxen Kirche der Ukraine gestern in Istanbul zu unterzeichnen.

Unübersehbarer Machtverlust

Dies ist ein grosser Erfolg für die orthodoxe Kirche der Ukraine, die seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion für die Unabhängigkeit kämpfte, und für den ukrainischen Präsidenten Poroschenko, der im anstehenden Präsidentschaftswahlkampf auf die Stimmen der Gläubigen setzt.

Für den Moskauer Patriarchen Kyrill ist es die wohl schwerste Niederlage seiner Amtszeit. Patriarch Kyrill macht es sich zu einfach, wenn er hinter der Unabhängigkeit der orthodoxen Kirche der Ukraine eine Verschwörung der USA mit dem ukrainischen Präsidenten wittert.

Kyrills Macht galt lange als unangefochten. Gestern zeigten sich die über Jahre gewachsenen Risse. Fast jede dritte Gemeinde der russisch-orthodoxen Kirche befindet sich in der Ukraine. Wie viele Gemeinden, die russisch-orthodoxe Kirche verlieren wird, klärt sich in den nächsten Wochen, wenn die Gemeinden in der Ukraine darüber beraten, welcher orthodoxen Kirche sie künftig angehören möchten.

Vertrauensverlust über Jahre

Die Unterstützung vieler Gemeinden hat der Patriarch bereits vor Jahren verloren, selbst wenn sie auf dem Papier noch zu seinem Patriarchat zählen. Viele Gläubige der russisch-orthodoxen Kirche in der Ukraine nennen nicht mehr den Namen Kyrills im Gottesdienst, selbst wenn die strengen Abläufe der Kirche dies vorschreiben. In Russland ein Tabu, welches zeigt, wie weit der Ungehorsam auf den tieferen Rängen der Geistlichen in der russisch-orthodoxen Kirche vorangeschritten ist.

Mit seiner Unterstützung der Krim-Annexion und des bewaffneten Konflikts in der Ostukraine, hat sich Patriarch Kyrill diesen Vertrauensverlust selbst zuzuschreiben. Laut Kirchenexperte Sergej Tschaplin sind die meisten Gefallenen im Osten der Ukraine Gläubige der russisch-orthodoxen Kirche, deren Familien nicht vergessen werden, dass der Patriarch sich nicht um ihr Seelenheil kümmerte.

Der Schulterschluss zwischen der russisch-orthodoxen Kirche mit dem Kreml brachten der Kirche kurz- und mittelfristig grosse finanzielle Mittel. Langfristig jedoch bindet die Kirche damit ihr Schicksal an den Kreml, ohne dessen Kurs mitentscheiden zu können.

Luzia Tschirky

Russland-Korrespondentin

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Luzia Tschirky ist SRF-Korrespondentin für die Region Russland und die ehemalige UdSSR.

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