Im Hallenbad von Prudnik, einer polnischen Kleinstadt an der Grenze zu Tschechien, hängt ein Schild, auf dem – auf Tschechisch – steht: «Die Gäste aus der Tschechischen Republik werden höflich gebeten, sich in den Kabinen mit Vorhang umzuziehen und nicht im offenen Raum mit den Kleiderspinden.»
Das unspektakuläre Schild zeigt einen Graben auf zwischen der polnischen und der tschechischen Mentalität. Die tschechischen Leute, die zum Schwimmen nach Prudnik kommen, weil das Schwimmbad hier näher ist als das nächste auf tschechischer Seite, haben ein völlig anderes Verhältnis zu Nacktheit als die Einheimischen.
Nackt vor Kindern?
Tschechinnen und Tschechen zeigen sich in den geschlechtergetrennten Garderoben ganz selbstverständlich nackt. Polen und Polinnen finden das ungehörig. Sie gehen in separate Kabinen, ziehen den Vorhang und entkleiden sich erst dann. Vor allem Kinder, so die polnische Überzeugung, sollen keine nackten Fremden sehen.
Bei uns ist niemand schockiert, wenn man sich vor Kindern umzieht.
Demgegenüber sagt eine junge Tschechin in der Lokalzeitung «Nowa Trybuna Opolska»: «Bei uns ist niemand schockiert, wenn man sich vor Kindern umzieht.»
Die unterschiedlichen Gepflogenheiten in polnischen und tschechischen Garderoben stehen für ein unterschiedliches Verhältnis zu Religion und Moral.
Polen ist so katholisch wie kaum ein anderes Land in Europa. Auch wenn die Gläubigen weniger werden, noch immer sind rund drei Viertel der Polinnen und Polen Mitglied in der katholischen Kirche, noch immer sind die Messen voll am Sonntag. In Tschechien hingegen bekennen sich sieben von zehn Einwohnern zu keiner Religionsgemeinschaft.
Das spiegelt sich in der Umkleidekabine, aber auch in der Politik: Wo es in Polen rasch um Moral und katholische Werte geht, sind die Tschechen stolz auf ihren Pragmatismus.
Sexualkundeunterricht, zum Beispiel, ist in tschechischen Schulen verpflichtend, weil Kinder nun mal lernen müssen, wie das mit dem Sex ist. In polnischen Schulen hingegen haben die Nationalkonservativen das Reden über Sex weitgehend verbannt. Kinder, so ihr Argument, sollen nicht verdorben werden.
Eingetragene Partnerschaften für gleichgeschlechtliche Paare gibt es in Polen nach wie vor nicht, in Tschechien seit 17 Jahren.
Kein wirklicher Block
Schwangerschaftsabbrüche sind in Polen in fast allen Fällen verboten, auch wenn der Fötus keine Chance hat, zu überleben. Tschechien hat seit Jahrzehnten eine Fristenlösung.
All das – genauso wie die Aufforderung an die tschechischen Gäste, sich in der polnischen Hallenbad-Garderobe doch bitte bedeckt zu halten – zeigt: Ein Block waren die Länder Osteuropas nie.