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Osteuropäische Mentalitäten Mentalitätsunterschiede zeigen sich in der Umkleidekabine

Aus westlicher Sicht war Osteuropa lange der Ostblock. Dabei sind die Unterschiede auch zwischen Nachbarländern riesig.

Im Hallenbad von Prudnik, einer polnischen Kleinstadt an der Grenze zu Tschechien, hängt ein Schild, auf dem – auf Tschechisch – steht: «Die Gäste aus der Tschechischen Republik werden höflich gebeten, sich in den Kabinen mit Vorhang umzuziehen und nicht im offenen Raum mit den Kleiderspinden.»

Das unspektakuläre Schild zeigt einen Graben auf zwischen der polnischen und der tschechischen Mentalität. Die tschechischen Leute, die zum Schwimmen nach Prudnik kommen, weil das Schwimmbad hier näher ist als das nächste auf tschechischer Seite, haben ein völlig anderes Verhältnis zu Nacktheit als die Einheimischen.

Nackt vor Kindern?

Tschechinnen und Tschechen zeigen sich in den geschlechtergetrennten Garderoben ganz selbstverständlich nackt. Polen und Polinnen finden das ungehörig. Sie gehen in separate Kabinen, ziehen den Vorhang und entkleiden sich erst dann. Vor allem Kinder, so die polnische Überzeugung, sollen keine nackten Fremden sehen.

Bei uns ist niemand schockiert, wenn man sich vor Kindern umzieht.
Autor: Junge Tschechin

Demgegenüber sagt eine junge Tschechin in der Lokalzeitung «Nowa Trybuna Opolska»: «Bei uns ist niemand schockiert, wenn man sich vor Kindern umzieht.»

Blaues Badekleid hängt im Hallenbad an der Stange.
Legende: Das Badekleid in der Garderobe nicht zu tragen, ist in Polen tabu. Getty Images/Westend61

Die unterschiedlichen Gepflogenheiten in polnischen und tschechischen Garderoben stehen für ein unterschiedliches Verhältnis zu Religion und Moral.

Polen ist so katholisch wie kaum ein anderes Land in Europa. Auch wenn die Gläubigen weniger werden, noch immer sind rund drei Viertel der Polinnen und Polen Mitglied in der katholischen Kirche, noch immer sind die Messen voll am Sonntag. In Tschechien hingegen bekennen sich sieben von zehn Einwohnern zu keiner Religionsgemeinschaft.

Revolution und Religion

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In Polen ist der Sturz des Kommunismus eng mit dem polnischen Papst, Johannes Paul II., verknüpft. Dieser machte schon bei seinem ersten Polenbesuch als Papst klar, dass er sich eine Veränderung der politischen Verhältnisse wünscht.

Die päpstliche Unterstützung war auch ein wichtiger Grund für den Erfolg der Solidanosc. Die Gewerkschaft wurde zum Sammelbecken der polnischen Regimegegner und gewann 1989 die ersten freien Wahlen mit überwältigender Mehrheit.

Der Katholizismus ist für viele in Polen nicht nur untrennbar mit der nationalen Identität, sondern auch mit der Überwindung des Kommunismus verknüpft.

In Tschechien hingegen hatten sich viele schon vor dem Zweiten Weltkrieg von der katholischen Kirche verabschiedet. Sie galt als Symbol des überwundenen Habsburger Kaiserreichs. Die Kirche spielte auch 1989 beim Sturz des Kommunismus in Tschechien keine wesentliche Rolle.

Das Ende der Tschechoslowakei Ende 1992 trennte das Land zudem in zwei Teile: Die Slowakei, wo bis heute mehr als die Hälfte der Bevölkerung römisch-katholisch ist, und Tschechien, wo sich eine Mehrheit keiner Religion zugehörig fühlt.

Das spiegelt sich in der Umkleidekabine, aber auch in der Politik: Wo es in Polen rasch um Moral und katholische Werte geht, sind die Tschechen stolz auf ihren Pragmatismus.

Sexualkundeunterricht, zum Beispiel, ist in tschechischen Schulen verpflichtend, weil Kinder nun mal lernen müssen, wie das mit dem Sex ist. In polnischen Schulen hingegen haben die Nationalkonservativen das Reden über Sex weitgehend verbannt. Kinder, so ihr Argument, sollen nicht verdorben werden.

Eingetragene Partnerschaften für gleichgeschlechtliche Paare gibt es in Polen nach wie vor nicht, in Tschechien seit 17 Jahren.

Kein wirklicher Block

Schwangerschaftsabbrüche sind in Polen in fast allen Fällen verboten, auch wenn der Fötus keine Chance hat, zu überleben. Tschechien hat seit Jahrzehnten eine Fristenlösung.

All das – genauso wie die Aufforderung an die tschechischen Gäste, sich in der polnischen Hallenbad-Garderobe doch bitte bedeckt zu halten – zeigt: Ein Block waren die Länder Osteuropas nie.

Echo der Zeit, 20.11.2023, 18 Uhr

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