Es ist der grösste Pädophilie-Prozess in Frankreich. Ein Täter; 299 Opfer; eine Anklageschrift von 725 Seiten. Der Chirurg Joël S. steht vor Gericht wegen sexueller Nötigung, Missbrauch und Vergewaltigung von Kindern und Jugendlichen. Deren Durchschnittsalter zum Zeitpunkt der Tat: 11 Jahre.
Die Taten soll er zwischen 1989 und 2014 in den Spitälern begangen haben, in denen er gearbeitet hat. Entweder direkt nach den Operationen, als die Kinder noch unter Narkose waren. Oder auf der Visite, die der Arzt oft alleine durchführte.
Ein pädokriminelles Tagebuch von 1655 Seiten
In digitalen Tagebüchern schrieb der ehemalige Chirurg Daten, Angaben der Patienten und die sexuellen Handlungen detailliert auf. Er ist teilweise geständig, sagt aber, dass ein Teil dieser Einträge Fiktion seien.
Gefunden hat die Polizei das Beweismaterial 2017 bei einer Hausdurchsuchung. Die Nachbarsfamilie hatte Anzeige erstattet, weil die 6-jährige Tochter völlig verstört erzählte, der nackte Nachbar habe an ihr durch den Zaun hindurch kuriose Dinge gemacht. 2020 wurde Joël S. dann zu 15 Jahren Haft verurteilt, wegen Vergewaltigung dieses Mädchens und sexueller Belästigung von zwei Nichten.
Seit Montag ist der 74-jährige Franzose erneut vor Gericht, dieses Mal wegen sexuellen Missbrauchs an 299 Opfern. Der Angeklagte soll ausserdem bereits vor 1989 Kinder missbraucht haben. Für diese Fälle wird er vor Gericht aber nicht zur Rechenschaft gezogen, weil sie nach französischem Recht verjährt sind. Joël S. droht in diesem Prozess die Maximalstrafe; eine Haftstrafe von 20 Jahren.
Täter war der Justiz bereits seit 2004 bekannt
Der Fall des pädokriminellen Chirurgen schockiert und wirft die Frage auf, wie seine zahlreichen Taten so lange unbemerkt geblieben sind. Denn Anzeichen gab es bereits seit Jahren: 2004 hatte das FBI die französischen Behörden informiert, dass Joël S. auf russischen Pädophilen-Websites Bezahlungen gemacht habe.
2005 wurde er wegen Besitz von pädopornografischem Material zu vier Monaten Haft verurteilt – auf Bewährung. Zusätzliche Massnahmen wie eine Therapie oder ein Verbot, mit Kindern zu arbeiten, ordnete das Gericht damals keine an. Nur ein Jahr später wurde Joël S. trotz Verurteilung am Spital in Quimperlé zum Chef der Chirurgie befördert. Bis 2017 konnte der pädokriminelle Mann weiterarbeiten, mutmasslich hat er über die Jahre in zehn verschiedenen Spitälern im Nordwesten Frankreichs Straftaten verübt.