Kakao, Kautschuk, Kaffee: Am Morgen werden sie alle geduscht. Farne breiten ihre Fächer in diesem feuchtwarmen Klima aus. Riesige Blätter bewegen sich sachte in einem feinen Regenschleier, den Will Spoelstra mit seiner Brause versprüht. «Das ist ehrlich gesagt die schönste Zeit des Tages. Morgens zwischen acht und zehn, bevor das Publikum eintrifft, bin ich ganz allein mit den Pflanzen, und wir nutzen diese Zeit zum Wässern.»
Ein Gewächshaus aus der Zeit von Darwin und Dickens
Will ist Chef des Palm House der königlich-botanischen Gärten in Kew. Ein tropischer Regenwald mitten im nebligen London. Der viktorianische Bau aus Stahl und Glas gilt als ältestes noch existierendes Gewächshaus der Welt. 110 Meter lang, 30 Meter breit und 19 Meter hoch.
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Bild 1 von 5. 1848 wurde das Palm House eröffnet. Bildquelle: Kew Gardens/ZVG.
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Bild 2 von 5. Das Design des bekannten Architekten Decimus Burton sah einen fast 19 Meter hohen und 110 Meter langen, gläsernen Palast vor. Bildquelle: Kew Gardens/ZVG.
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Bild 3 von 5. Das Glashaus sollte jeder Bürgerin und jedem Bürger offenstehen. Die ärmsten Schichten der Bevölkerung blieben jedoch ausgeschlossen, denn nur ordentlich gekleideten Personen wurde der Zutritt gewährt. Bildquelle: Kew Gardens/ZVG.
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Bild 4 von 5. Die Form des Palm House erinnert von Weitem an den umgedrehten Rumpf eines Schiffes. Bildquelle: Kew Gardens/ZVG.
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Bild 5 von 5. Reinigung des Glasdachs im Mai 1963: Dank periodischer Restaurierungen hielt das Palm House 176 anstatt der ursprünglich geplanten 100 Jahre. Bildquelle: IMAGO / United Archives International.
Es ist das grösste Gewächshaus aus der viktorianischen Zeit. Das Palm House war 1848 in den Tagen von Charles Dickens und Charles Darwin die Sensation in London. Darin spazierten einst Kaiser und Könige. Eine monumentale Botanisier-Büchse des britischen Empire. Pflanzen, die in Afrika, Indien und Südamerika ausgegraben und verschifft wurden, arrangierte man im nebligen London zu einem akkurat etikettierten Tropenwald.
Am Weltkulturerbe nagt der Zerfall
Die elegante Konstruktion mit ihren kurvigen und kreuzförmigen Stahlträgern erinnert an ein riesiges Schiff aus Glas. Ein Ort, an dem sich Pflanzen und Menschen angemessen begegnen können, notierten einst die Erbauer. Im Inneren steigt man auf engen Wendeltreppen in schwindelerregende Höhen und wandelt auf eisernen Galerien zwischen Palmblättern und Lianen.
Bei 26 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 80 Prozent kommt man als Besucher bald ins Schwitzen. Das tropische Klima scheint den Palmen gut zu bekommen. Zu gut, erzählt Will. Sie würden teilweise so schnell wachsen, dass sie regelmässig gestutzt werden müssten, damit sie nicht das Glasdach durchbrechen.
Weniger behagt die Luftfeuchtigkeit jedoch dem Gewächshaus selbst. An dessen kurviger Eisenkonstruktion nagt der Zerfall. «Von hier oben sehen wir, wie an den Stützpfeilern Algen gedeihen, die weisse Farbe blättert ab und der Rost zerfrisst die Eisenkonstruktion, die Fensterscheiben tragen dicke Kalkschichten. Das muss saniert werden. Aber wenn es mal so weit ist, wird es da wieder wunderschön aussehen.»
Tausend Pflanzen ziehen ins Provisorium
In den kommenden Jahren wird das Weltkulturerbe deshalb saniert. 16'000 Glasscheiben müssen ersetzt werden. Die ganze Metallkonstruktion wird entrostet und frisch gestrichen. Zudem gibt es Wärmepumpen anstelle der Gasheizung, um das Palm House in ein klimaneutrales Gebäude zu verwandeln. Fünf Jahre soll die Renovation dauern, die 75 Millionen Franken kosten soll. In dieser Zeit kommt es zum botanischen Exodus. Rund tausend Pflanzen müssen in ein Provisorium gezügelt werden.
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Bild 1 von 5. Das Palm House besteht aus aus 16'000 Glasscheiben, geheizt wird mit Gas – doch das soll sich ändern. Bildquelle: SRF / Patrik Wülser.
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Bild 2 von 5. Das viktorianische Gebäude soll wieder in neuem Glanz erstrahlen. Dafür hat man 2024 mit der Vermehrung geeigneter Pflanzen begonnen. Bildquelle: SRF / Patrik Wülser.
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Bild 3 von 5. Von Afrika zu den «Americas» in einem Schritt: Über tausend Pflanzen beherbergt das Gewächshaus, 45 davon sind vom Aussterben bedroht. Bildquelle: SRF / Patrik Wülser.
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Bild 4 von 5. Durch die Renovation soll das Gewächshaus zum Netto-Null-Gebäude werden. Bildquelle: SRF / Patrik Wülser.
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Bild 5 von 5. Noch heute wird das Palm House für die Forschung im Bereich der Medizin und der nachhaltigen Landwirtschaft genutzt. Bildquelle: SRF / Patrik Wülser.
«Das ist eine riesige Herausforderung, die wir bereits seit einigen Jahren vorbereiten. Von allen Pflanzen nehmen wir Samen oder Stecklinge, damit wir ein Exemplar ziehen könnten, falls etwas schiefläuft.» Die meisten Pflanzen würden jedoch sorgfältig ausgegraben und umgetopft, um sie vorübergehend in andere Gewächshäuser zu bringen.
Selbst die älteste Topfpflanze der Welt wird gezügelt
Sorgen bereitet dem Obergärtner noch die Encephalartos altensteinii, ein riesiger Palmfarn im Vestibül des Gewächshauses. Nicht die Grösse sei das Problem, sondern das Alter. Der Palmfarn sei älter als das Palm House selbst. 1775 wurde er am Kap der Guten Hoffnung in Südafrika ausgegraben und auf die Reise nach London geschickt. Heute gilt er als die älteste Topfpflanze der Welt. Sie ist nicht nur weit gereist, sondern hat auch einiges an Weltgeschichte erlebt – und überlebt. Selbst die Bombenangriffe der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg.
Eine besondere Begegnung. Wer als Besucher des Palm House den windschiefen Stamm des botanischen Methusalems berührt, schrumpft für einen Moment auf seine angemessene Grösse.