In den vergangenen Jahren ist es still geworden um den Irak, und das ist an sich kein schlechtes Zeichen. Das Land hat sich weitgehend aus den Kriegen und Konflikten der Region herausgehalten. Auch innenpolitisch blieb es vergleichsweise ruhig.
Sudani ist kein Populist, sondern ein Pragmatiker.
Ein Grund dafür sei Premierminister Mohammed Shia as-Sudani, sagt Dlawer Alaaldin vom Middle East Research Institute MERI in Erbil: «Sudani ist kein Populist, sondern ein Pragmatiker.» Er baue Brücken, Strassen und Spitäler – und vermeide grosse Worte. Milliarden flossen in Infrastrukturprojekte. Das ehrgeizigste davon ist die sogenannte Entwicklungsstrasse – ein Handelskorridor, der den Hafen Basra im Süden mit der Türkei im Norden verbinden soll. Noch steckt das Projekt in der Planungsphase, doch in einer zweiten Amtszeit soll es vorankommen, glaubt man den Versprechungen der Regierung.
Ein kompliziertes politisches Geflecht
Ob Sudani diese Chance erhält, hängt nicht nur vom Wahlresultat ab. Denn die irakische Politik ist von Allianzen, Spaltungen und Machtkämpfen geprägt. Nicht weniger als 32 Parteien treten in verschiedenen Wahlbündnissen zur Wahl an. Doch diese Bündnisse können – und werden – sich nach Bekanntgabe der Wahlresultate teilweise neu formieren.
Bei den letzten Wahlen gewann etwa ein Bündnis um den schiitischen Geistlichen Muqtada as-Sadr die meisten Sitze, konnte aber keine Regierung bilden. Stattdessen wurde Sudani Premier – obwohl seine Partei nur einen Sitz im Parlament errang. Gestützt wurde er von einem pro-iranischen Block. Paradoxerweise ist genau dieses Lager heute seine stärkste Konkurrenz.
Distanz zu Teheran als Politikum
Sudani versuche, den Einfluss des Iran zu begrenzen, sagt die ehemalige Parlamentarierin Maysoun al-Damlouji. Teherans Einfluss in der Region hat abgenommen. Das syrische Assad-Regime ist gefallen, die Hisbollah im Libanon geschwächt. «Diese Wahlen sind ein Lackmustest, ob sich der Irak tatsächlich vom Iran lösen kann», sagt Damlouji. Dennoch bleiben die grossen irakischen Parteien mit dem Iran verbunden – manche mehr, manche weniger.
Sudani gehört zum eher unabhängigen Lager und verfolgt eine irakisch-nationalistische Politik – ebenso wie Muqtada as-Sadr, der die Wahlen diesmal boykottiert. Sein Rückzug könnte Sudani helfen. Er hat in Sadrs Wahlkreisen viele Bauprojekte umgesetzt. Das hat ihm dort zusätzliche Popularität eingebracht.
Korruption und Politikverdrossenheit
Die Korruption sei unter Sudani nicht weniger, sondern stärker geworden, sagt Shirouk Abayachi, eine Kandidatin aus der Zivilgesellschaft. Konkrete Zahlen fehlen zwar, doch der aktuelle Wahlkampf gilt als der teuerste in der irakischen Geschichte. Gleichzeitig haben sich so wenige Wähler registrieren lassen wie noch nie.
Viele Irakerinnen und Iraker sind desillusioniert.
Viele Irakerinnen und Iraker hätten genug davon, zur Wahl zu gehen, nur damit die grossen Parteien am Ende eine Regierung formen, die mit dem Wählerwillen wenig zu tun habe, sagt Shirouk Abayachi. «Viele Irakerinnen und Iraker sind desillusioniert.»
Und das dürfte Sudanis grösste Hypothek sein. Denn auch er wurde nach der letzten Wahl nicht direkt vom Volk ins Amt gebracht, sondern von einem Bündnis verschiedener Parteien, das sich nun gegen ihn wendet. Im Irak entscheidet schliesslich nicht Sach-, sondern Machtpolitik.