SRF: In der AfD, der drittstärksten Partei in Deutschland, gibt es vereinfacht gesagt zwei Lager: Jene, die in Systemopposition verharren wollen und jene, die Mitgestalten durch Mitregieren anstreben. Welches Lager hat nach diesem Parteitag die Oberhand?
Werner Patzelt: Auf diesem Parteitag haben sich jene durchgesetzt, welche die AfD als eine rechte und rechtspopulistische Sammlungsbewegung aufstellen wollen, die auch für Rechtsradikale eine politische Heimat bildet. Dieser rechte Flügel wollte sich durchsetzen und hat einen Realpolitiker verhindert.
Der offenkundige Sieg konnte nur dadurch abgewendet werden, dass Gauland selbst in die Presche sprang und als Parteivorsitzender mit ausgleichender Wirkung auf die zwei Linien der Partei die Verantwortung übernahm.
Die frühere AFD-Chefin Frauke Petry sagte, die Partei sei nun fest in der Hand von Björn Höcke. Würden Sie dem zustimmen?
Das ist vielleicht etwas übertrieben formuliert. Aber es ist schon so, dass die rechten Kreise in der AfD die Oberhand mehr und mehr zu gewinnen scheinen und womöglich alsbald mehr und mehr Abgeordnete zur Einsicht kommen, sie wären bei der klar staatstragenden blauen Konkurrenz von Frau Petry besser aufgehoben als bei der AfD.
Welcher Kurs darf von der AfD nun erwartet werden?
Im Bundestag hat sich die AfD bemüht, als eine vernünftige, zwar oppositionelle, aber den Grundkonsens des Gemeinwesens nicht in Frage stellende Fraktion aufzutreten. Das ist auch vernünftig so.
Die offene Frage ist, wie lange sich die Rechten und Rechtsradikalen in der AfD auf diese Weise disziplinieren lassen. Sie glauben nämlich, dass man durch schrilles, lautes und rechtes Auftreten für die Partei eine Mehrheit beschaffen kann, während jene, die für einen gemässigten und vernünftigen Kurs sorgen, genau vom Gegenteil überzeugt sind. Nämlich nur als eine Art bundesweite CSU ständig eine wichtige politische Rolle spielen zu können.
Eine Entradikalisierung, um es so zu sagen, ist in nächster Zeit nicht unbedingt zu erwarten?
Es ist zu erwarten, dass sich die Rechten weiterhin bestätigt fühlen. Dass sie nach dem olympischen Motto ‹schneller, höher, weiter› verfahren und immer noch einen Zahn zulegen wollen. Das wird so lange gut gehen, bis offenkundig die AfD zu einer rechtsradikalen Veranstaltung geworden ist. Denn eine solche findet in Deutschland – gottlob – kein sonderliches Echo.
Man liest in den deutschen Medien, dass der Parteitag ein Chaos war. Die AfD sei tief gespalten. Fairerweise muss man sagen, das gilt auch für die CDU und die SPD. Wie interpretieren Sie diese Spannungen innerhalb der drei grössten Parteien in Deutschland.
Mir scheint das zentrale Phänomen zu sein, dass eine neue politische Spannungslinie aufgetaucht ist, an der sich das etablierte Parteiensystem noch nicht neu ausgerichtet hat. Die neue Spannungslinie ist die zwischen den Einwanderungsoptimisten und den Einwanderungsskeptikern. Sie ist jene zwischen denen, die in Deutschland eine multikulturelle Gesellschaft herbeiführen wollen und jenen, welche die angestammte Kultur und Gesellschaft im Wesentlichen erhalten wollen.
Über die Frage, wie man sich verhalten soll, ist sowohl die CDU als auch die SPD gespalten. Die einzige Partei, die klare Positionen bezieht – abgesehen von Teilen der CSU –, ist die AfD. Aber sie radikalisiert sich an der Frage, wie man es überhaupt mit vernünftiger Zuwanderung, mit notwendiger Offenheit und Buntheit eines pluralistischen Staates halten soll. Und solange diese neue Spannungslinie in das traditionelle Links-rechts-Schema gepresst wird, in das Schema die Anständigen gegen die Neonazis, wird man mit dieser Konfliktlinie politisch nicht vernünftig umgehen können.
Das Gespräch führte Samuel Wyss.