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Parteitag nach Wahldebakel Für die CDU geht es um ihre Existenz als Volkspartei

Es ist sein grosser Triumph – und er kommt reichlich spät. Endlich, nach zwei erfolglosen Versuchen, wird Friedrich Merz von den Delegierten seiner Partei zum Vorsitzenden gewählt. Das Resultat ist mit fast 95 Prozent glänzend und für eine noch vor kurzem tief zerstrittene Partei überraschend geschlossen. Da verdrückt selbst ein «harter Hund» wie Merz doch tatsächlich ein paar Tränchen.

CDU verlor erst die Orientierung – dann die Macht

Männlich, konservativ, wirtschaftsliberal – der 66-jährige Merz ist ein CDUler, wie er typischer für die Partei kaum sein könnte. Zumindest für die CDU der guten alten Zeiten. Doch die Zeiten haben sich gewandelt, das hatte Angela Merkel früh erkannt. Sie rückte die CDU in die Mitte, gab ihr ein weibliches Gesicht, machte sie gesellschaftlich liberaler und damit zu einer der letzten Volksparteien Europas.

Doch der 26. September letzten Jahres setzte dem ein jähes Ende. Die CDU erlitt mit dem Rücktritt Merkels die grösste Wahlniederlage ihrer Geschichte. Vorausgegangen waren ein inhaltsleerer Wahlkampf und ein Streit um die Parteiführung auf offener Bühne. Die CDU verlor erst die Orientierung und dann die Macht.

Merz gibt sich geläutert

Nun soll es Friedrich Merz richten. Er muss die verschiedenen Flügel in der Partei einen und der CDU ein klares Profil geben. In seiner Antrittsrede als neuer Vorsitzender zeigt er sich demonstrativ sozial, bezeichnet sich gar als Anwalt der Armen und Schwachen. Er, der stets seine Wirtschaftsnähe betonte, vollzieht öffentlich eine Wandlung.

Dazu passt, dass er sich als Teamplayer präsentiert und eine neue Führungsriege aufstellt, die jünger und weiblicher ist als die bisherige. Gleichzeitig lanciert er die ersten Angriffe auf die neue Regierung und Kanzler Scholz. Die CDU ist jetzt Opposition, und sie scheint nach langem Hadern entschlossen, diese Rolle anzunehmen.

Die fetten Jahre sind vorbei

Die Christdemokraten stehen an einem entscheidenden Punkt: Schaffen Sie es, Volkspartei zu bleiben? Oder droht ihnen die politische Bedeutungslosigkeit und damit das Schicksal vieler europäischer Konservativer? Die fetten Jahre sind vorbei, nun geht es um nichts weniger als die Existenzfrage.

2022 stehen vier wichtige Landtagswahlen an, bei dreien davon geht es um den Posten des CDU-Ministerpräsidenten. Die Bundespartei ist dabei von grosser Bedeutung. Zeigt sie Geschlossenheit und einen klaren Kurs, kann sie in den Ländern für den entscheidenden Aufwind im Wahlkampf sorgen. Die Basis zittert, der Schock nach der Bundestagswahl sitzt tief. 

Der nächste Machtkampf droht

Kommt hinzu, dass die Machtfrage in der Partei noch nicht abschliessend geklärt ist. Merz strebt auch den Posten als Fraktionsvorsitzenden im Bundestag an, der im deutschen Politsystem mit dem des Oppositionsführers gleichgesetzt wird. Doch der ist besetzt mit Ralph Brinkhaus, einem angesehenen und beliebten Politiker.

Wird es erneut zu einem offenen Schlagabtausch kommen? Oder wird sich Brinkhaus freiwillig zurückziehen, um den zarten Parteifrieden nicht zu gefährden? In dieser Frage wird Merz seine Führungsqualitäten unter Beweis stellen müssen. Auch Angela Merkel hatte vor mehr als zwei Jahrzehnten als neue CDU-Vorsitzende den Fraktionsvorsitz beansprucht und den damaligen Amtsinhaber entmachtet. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass dessen Name damals Friedrich Merz lautete.

Bettina Ramseier

Deutschland-Korrespondentin, SRF

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Bettina Ramseier ist SRF-Korrespondentin in Berlin. Sie ist seit 15 Jahren TV-Journalistin: Zuerst bei TeleZüri, danach als Wirtschaftsredaktorin bei SRF für «ECO», die «Tagesschau» und «10vor10».

SRF 4 News, 22.01.2022, 12.30 Uhr

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