Dichtgedrängt stehen die Menschen auf dem Platz vor dem Warschauer Rathaus. Sie rufen: «Ganz Polen ist für Rafal». Mehr als Hunderttausend sind aus dem ganzen Land zusammengekommen, um eine Woche vor der Stichwahl um das Präsidentenamt in Polen ihren Kandidaten zu unterstützen: Rafal Trzaskowski, liberaler Warschauer Oberbürgermeister und Bewerber aus dem Lager von Regierungschef Donald Tusk.
Etwas weiter, am Charles-de-Gaulle-Platz, ein ähnliches Bild, nur die Rufe sind anders: «Karol, Karol» und «Hier ist Polen!» Hier demonstrieren die Anhänger von Karol Nawrocki, dem parteilosen Kandidaten der oppositionellen PiS.
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Bild 1 von 2. Karol Nawrocki hält mit seinen Anhängern eine riesige, polnische Flagge. Bildquelle: AP Photo/Czarek Sokolowski.
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Bild 2 von 2. Um die 70'000 Menschen sollen an der Demo für den Kandidaten der Pis-Partei dabei gewesen sein. Bildquelle: EPA/Albert Zawada.
Vor der Stichwahl am 1. Juni steht es Spitz auf Knopf: Laut Umfragen können beide Kandidaten mit 47 Prozent der Stimmen rechnen. Beide Lager hoffen, mit den Grossdemos noch etwas herauszuholen. Regierungschef Tusk schrieb, auf die Demo zur Unterstützung Trzaskowskis seien eine halbe Million Menschen gekommen. Das Portal Onet kam nach der Auswertung von Luftaufnahmen auf 130'000 bis 160'000 Teilnehmer. Die PiS gab die Zahl der Teilnehmer auf der Demo für Nawrocki mit 150'000 an. Nach Schätzungen von Onet waren es 70'000.
Wahlausgang auch für Deutschland wichtig
Polen ist ein politisch tief gespaltenes Land, und das Ergebnis dieser Präsidentenwahl wird den Kurs des EU- und Nato-Mitglieds massgeblich bestimmen. Mit Auswirkungen für Deutschland und Europa.
Tusk braucht den Sieg seines Kandidaten Trzaskowski, um seine Reformpolitik umzusetzen und den von der PiS demolierten Rechtsstaat wieder herzustellen. Der bisherige Präsident Andrzej Duda, der aus den Reihen der PiS stammt, hat die meisten Gesetzentwürfe von Tusks Regierung mit seinem Vetorecht blockiert.
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Bild 1 von 2. Auch Rafal Trzaskowski lockte Unterstützer aus dem ganzen Land an. Bildquelle: EPA/Leszek Szymanski .
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Bild 2 von 2. Der Umzug für Trzaskowski war mit bis zu 160'000 Teilnehmern gut doppelt so gross wie jener für Nawrocki. Bildquelle: EPA/Leszek Szymanski .
Wird Nawrocki neues Staatsoberhaupt, dürfte er diese Blockadepolitik fortsetzen. Tusks Mitte-Links-Bündnis hat im Parlament nicht die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit, um das Veto des Präsidenten aufzuheben.
Vor der Stichwahl blickt Nawrocki scharf nach rechts. Denn dort gibt es für den 42-jährigen Kandidaten der PiS die meisten Wähler zu holen. Die erste Wahlrunde offenbarte einen für viele schockierend hohen Zulauf für zwei rechtsextreme Kandidaten. Der 38-jährige Unternehmer Slawomir Mentzen, der mit einem MAGA-ähnlichen Programm («Make America Great Again» war der Wahlkampf-Slogan von US-Präsident Donald Trump) vor allem bei jungen Männern punktete, bekam fast 15 Prozent der Stimmen. Der Antisemit Grzegorz Braun landete bei mehr als sechs Prozent.
Rechtsextremer will Zünglein an der Waage spielen
Beide schieden zwar aus dem Rennen aus. Doch Mentzen möchte nun das Zünglein an der Waage spielen. Er hat Nawrocki und Trzaskowski einzeln in seine Youtube-Show eingeladen und ihnen seinen Acht-Punkte-Plan zur Unterschrift vorgelegt. Davon macht er seine Wahlempfehlung abhängig. Nawrocki schmeichelte Mentzen und setzte am Ende seine Unterschrift unter dessen Acht-Punkte-Plan. Darin verpflichtet er sich unter anderem, kein Gesetz zu unterschreiben, dass den Beitritt der Ukraine zur Nato ratifiziert, die nationale Währung Zloty zu verteidigen und keine Kompetenzen der polnischen Regierung an Brüssel abzugeben.
Trzaskowski dagegen lieferte sich mit Mentzen ein spannendes Rededuell und weigerte sich, dessen Acht-Punkte-Plan zu unterzeichnen. Auf die Stimmen der Mehrheit von Mentzens Wählern wird Trzaskowski bei der Stichwahl nun wohl verzichten müssen.