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Politikgerangel in Tunesien Regierungsparteien versuchen ein «Buebetrickli»

Im Herbst wird in Tunesien gewählt. Jetzt wurde ein Gesetz verabschiedet, das gegen ganz spezielle Kandidaten zielt.

Darum geht es: Das tunesische Parlament hat die Hürden für Kandidaten der Präsidentenwahl im Herbst erhöht: Das Wahlgesetz wurde in dem Sinne verschärft, dass Präsidentschaftsanwärter ein Jahr vor der Wahl keine Geschenke an Bürger verteilt haben und nicht von politischer Werbung profitiert haben dürfen. Auch dürfen keine Spenden aus dem Ausland angenommen worden sein. In der Vergangenheit straffällig gewordene Personen sind ausgeschlossen. Das schränkt das Feld der Kandidatinnen und Kandidaten drastisch ein.

Konkrete Anwärter im Visier: Die Einschränkung zielt auf ganz bestimmte, nicht den bisherigen Parteien angehörende Anwärter. In erster Linie ist dabei der Medienmogul Nabil Karoui zu nennen. «Es ist eine schillernde Figur», sagt SRF-Frankreich-Korrespondent und Tunesien-Kenner Daniel Voll. Seit der Revolution von 2011 besitzt Karoui den populären TV-Sender Nessma TV. Mit dessen Hilfe profilierte er sich als Dauerkritiker der tunesischen Regierung – egal ob diese von der islamistischen Ennahda oder wie zurzeit von allen Parteien gestellt wird.

Tausendfach Geschenke verteilt: Karoui betreibt eine Wohltätigkeitsstiftung und überträgt auf seinem TV-Sender die Verteilung von Hilfsgütern an Bedürftige. Er kündigte vor drei Wochen seine Kandidatur für die Präsidentenwahl im Herbst an – und führt seither das Kandidatenfeld laut Umfragen an. «Das hat die Parteien im Parlament wohl alarmiert», so Voll. Denn die etablierten Parteien befürchteten, bei der Wahl richtiggehend unterzugehen.

Karoui umringt von Leibwächtern.
Legende: Nabil Karoui führt derzeit die Umfragen für die Präsidentschaftswahl an. Reuters Archiv 2012

Unbeliebte Regierung: Tatsächlich sieht es für die an der Regierung beteiligten Parteien nicht gut aus. «Ihre politische und wirtschaftliche Bilanz ist schlecht», sagt der Korrespondent. Das Leben für die Tunesier werde immer teurer, die Löhne hielten nicht mit, die Krise habe den Mittelstand längst erreicht. Zudem hätten die Parteien ihre Glaubwürdigkeit längst verspielt. Seit dem demokratischen Umsturz sei die Politlandschaft in Tunesien ständig im Umbruch – und jetzt sei wohl die Stunde der Populisten gekommen, glaubt Voll. So komme die von Karoui erst angekündigte, aber noch gar nicht gegründete Bewegung laut Umfragen bereits jetzt auf 30 Prozent der Wählerstimmen.

Karoui wehrt sich: Der Medienmogul hat angekündigt, trotz des neuen Gesetzes keinesfalls aufgeben zu wollen. Karoui führt die ausserparlamentarische Opposition schon seit 2011 an – da werde er sich nicht von dieser «kurzfristigen Änderung der Spielregeln» einschüchtern lassen, sagt Voll. Es sei sogar möglich, dass das Volk das neue Gesetz nicht goutieren und die Verschärfung Karoui am Ende sogar nützen werde. Schon mehrmals hätten die Tunesier in den vergangenen acht Jahren den Politikern mit Strassenprotesten klargemacht, dass sie ihnen nicht alles durchgehen lassen.

Vieles bleibt unklar: Sicher ist derzeit einzig, dass die Parlamentswahl am 6. Oktober stattfinden soll. Der Präsident soll vom Volk im November gewählt werden. Völlig unklar bleibt dagegen, wer genau für die Wahlen wird antreten dürfen.

Einziges arabisch-demokratisches Land

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Am 14. Januar 2011 verliess Langzeitherrscher Ben Ali überstürzt das Land – nach massiven Protesten von Millionen Tunesierinnen und Tunesiern. Auslöser des mehrheitlich friedlichen Umsturzes war die Selbstverbrennung des Gemüsehändlers Mohamed Bouazzizi. Der 26-Jährige hatte sich aus Protest gegen die tunesischen Lebensumstände selber angezündet, nachdem die Polizei seinen Obst- und Gemüsestand willkürlich konfisziert hatte. Aus den ersten freien Wahlen im Land im Oktober 2011 ging die islamistische Ennahda-Partei als stärkste Kraft hervor. Eine verfassungsgebende Versammlung arbeitete eine Verfassung aus, die 2014 in Kraft trat. Seit 2015 ist Beji Caid Essebsi Staatspräsident, der erst 42-jährige Youssef Chahed führt seither als Premierminister eine Allparteienregierung an.

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