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Politische Krise in Italien «Einzig Deutschland strahlt noch Stabilität aus»

Welche Auswirkung auf die EU hat das Nein zu Italiens Referendum? Brüssel-Korrespondent Oliver Washington im Gespräch.

Oliver Washington

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Porträt Oliver Washington

Oliver Washington ist seit 2003 bei SRF. Ab 2007 war er Mitglied der Inland-Redaktion, seit 2014 ist er EU-Korrespondent in Brüssel. Washington hat Soziologie, Geografie und Wirtschaftsgeschichte studiert.

«SRF»: Überwiegt in Brüssel heute die Sorge über den Referendumsentscheid in Italien?

Oliver Washington: Auch wenn die Erleichterung über den Sieg von Alexander Van der Bellen in Österreich sehr gross ist, das Problem in Italien ist schwerwiegender. Italien ist die drittgrösste Volkswirtschaft der Eurozone und politische Instabilität in Italien beschäftigt natürlich weitaus stärker in Brüssel als der Sieg von Alexander Van der Bellen. Mit der politischen Unsicherheit besteht die Gefahr, dass sich Italien ökonomisch nicht erholt. Und das könnte zu einem grundsätzlichen Problem für die Eurozone werden.

In dem Kontext ist es für die EU sehr schwierig, wenn es Mitgliedsländer gibt, die mit sich selber beschäftigt sind.
Autor: Oliver Washington SRF-Korrespondent in Brüssel

Mit Renzi verliert die EU natürlich auch einen wichtigen Partner. Welche Auswirkungen hat dies?

Ein Blick auf die europäische Landkarte erklärt vieles: Wir haben Spanien mit Premierminister Rajoy. Er führt eine Minderheitsregierung an. Wir haben Frankreich mit François Hollande, der nicht mehr zur nächsten Präsidentenwahl antreten wird. Wir haben Italien mit Matteo Renzi, dem EU-Freund, der seinen Rücktritt eingereicht hat. Weiter haben wir die Niederlande mit dem Anti-Europäer Geert Wilders, der möglicherweise im kommenden Jahr die stärkste Partei im Land anführen wird. Grossbritannien hat für einen EU-Austritt gestimmt. Und Polen hat eine anti-europäische Regierung. In diesem ganzen anti-europäischen Gebilde haben wir einzig noch Deutschland, das Stabilität ausstrahlt. Und in dem Kontext ist es für die EU sehr schwierig, wenn es Mitgliedsländer gibt, die mit sich selber beschäftigt sind. Das heisst für die EU im Wesentlichen, dass sie blockiert ist.

Erst nach den Wahlen in den Niederlanden, Frankreich, Deutschland und möglicherweise in Italien können Zukunftsfragen angepackt werden.

Unruhige Zeiten also für die EU. Heute treffen sich die Eurofinanzminister. Welche Konsequenzen müssen sie ziehen?

Wenn es so ist, dass in Italien viele Bürgerinnen und Bürger Nein gesagt haben zu dieser Verfassungsreform, weil sie mit der ökonomischen Situation im Land nicht zufrieden sind, dann stehen mehrere zentrale Fragen im Raum: Hat Europa in den vergangenen Jahren die richtige Politik betrieben? Hat sie nicht zu viel gespart? Was heisst das für die Zukunft? Muss allenfalls künftig die Architektur der Eurozone angepasst werden? Braucht es vielleicht nicht mehr Solidarität und Ausgleichsmassnahmen zwischen den Ländern? Antworten darauf werden sich heute nicht finden lassen. Aber diese Fragen werden sicher wieder auf der politischen Traktandenliste landen.

Hat denn die EU tatsächlich in den vergangenen Jahren die richtige Politik betrieben? Und was heisst das für die Zukunft?

Die EU muss sich überlegen, ob sie zentral Investitionen tätigen und eine europäische Arbeitslosenversicherung einführen will. Dies könnte ein Weg in die Zukunft sein. Allerdings: im kommenden Jahr stehen Wahlen in den Niederlanden, Frankreich, Deutschland und möglicherweise in Italien an. Erst nach diesen Wahlen können Zukunftsfragen angepackt werden. Denn Voraussetzung dafür sind stabile politische Verhältnisse – vorausgesetzt die Staatschefs wollen diese Fragen angehen.

Das Gespräch führte Tina Herren.

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