Ob im Russland-Ukraine-Krieg oder in Wirtschafts-Fragen: Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva verfolgt eine eigene Linie in der Aussenpolitik. Die grösste Volkswirtschaft Südamerikas strotzt vor Selbstbewusstsein. Das hat Lulas Besuch in China deutlich gemacht.
Das Schwellenland Brasilien scheut sich nicht davor, Althergebrachtes zu hinterfragen. In der chinesischen Wirtschafts-Metropole Shanghai teilte Lula mit markigen Worten gegen den Internationalen Währungsfonds (IWF) aus und gegen die Dominanz des US-Dollars in der Weltwirtschaft.
Lula will die Weltwirtschaft aktiv mitgestalten
«Warum können wir nicht in unserer eigenen Währung handeln? Wer hat entschieden, dass es der Dollar ist?», fragte Lula bei der Amtseinführung der früheren brasilianischen Staatschefin Dilma Rousseff als Präsidentin der Neuen Entwicklungsbank (NDB) der Brics-Staaten in Shanghai. «Kein Regierungschef kann mit dem Messer an der Kehle arbeiten, weil er Geld schuldet», erklärte Lula weiter.
Solche Aussagen stossen in Schwellenländern auf Beifall. Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika wollen mit ihrer Brics-Bank, deren Vorsitz nun Brasilien hat, grosse soziale und wirtschaftliche Veränderungen bewirken. Einen ersten Schritt dafür hat Lula bereits getan: Mit China handelt Brasilien künftig in chinesischen Yuan, statt in US-Dollar.
Brasiliens Nähe zu China wächst seit Jahren
Was in Europa und in den USA erstaunen mag, ist die Fortsetzung einer schon lange stattfindenden Entwicklung: China läuft in Brasilien längst allen anderen Handelspartnern den Rang ab. Seit Lulas erstem China-Besuch 2004 hat sich Brasiliens Handel mit China um das 21-fache erhöht.
Welche Verschiebungen in Brasilien im Gang sind, zeigt exemplarisch das Beispiel Ford: Der US-amerikanische Autohersteller gab kürzlich eine Fabrik in der Region Bahia im Nordosten Brasiliens auf. Lula hofft, dass nun ein chinesischer Elektro-Autobauer die Fabrik übernimmt.
Brasilien riskiert die Abhängigkeit von China
Lula will die eigene Verhandlungsposition in der Aussenpolitik stärken, indem er sich alle Optionen offen hält. So hat der brasilianische Präsident im Russland-Ukraine-Krieg bislang keine Partei ergriffen, sondern sich zusammen mit China als Friedensvermittler ins Gespräch gebracht.
Lula führt sein Land in eine immer grössere Abhängigkeit von China – das ist nicht von der Hand zu weisen. Wer dem etwas entgegensetzen will, täte gut daran, das neue brasilianische Selbstbewusstsein ernst zu nehmen.