Zum Inhalt springen

Prekäre Wirtschaftslage Demonstrierende in Syrien fordern den Rücktritt al-Assads

Seit zwei Wochen gehen in Syrien Menschen auf die Strasse. Es sind die grössten Antiregierungsproteste seit dem Arabischen Frühling. Die wichtigsten Antworten auf die drängendsten Fragen:

Weshalb kommt es gerade jetzt zu neuen Protesten in Syrien? Die wirtschaftliche Lage in Syrien ist seit längerem miserabel: Laut Schätzungen der UNO sind über 90 Prozent der Menschen auf Hilfe angewiesen. Die syrische Währung hat seit Kriegsbeginn 2011 massiv an Wert verloren, speziell nochmals in den letzten Wochen.

Viele Menschen mit Flaggen
Legende: Menschen protestieren mit drusischen Fahnen in der syrischen Stadt Sweida. (1. September 2023) Keystone/AP/Suwayda24

Dazu kommt, dass die Regierung von Baschar al-Assad vor kurzem die Benzin-Subventionen gekürzt hat. Das war aus Sicht der Protestierenden der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.

Aus den Wirtschaftsprotesten sind rasch Antiregierungsproteste geworden. Demonstrierende fordern den Rücktritt von al-Assad. «Die Demonstrationen sind die grössten, die wir seit Beginn des Arabischen Frühlings 2011 gesehen haben, als sich die Demonstrierenden gegen das autoritäre Regime aufgelehnt und Menschenrechtsverletzungen angeprangert haben», sagt der schweizerisch-syrische Experte Joseph Daher. Er lehrt an der Universität Lausanne, arbeitet an Forschungsprojekten zu Syrien und ist Gründer des Blogs «Syria Freedom Forever».

Wo haben die Proteste begonnen? Die Proteste haben vor rund zwei Wochen in der Stadt Suwaida begonnen. Hier leben Drusen, Angehörige einer religiösen Minderheit. Im Bürgerkrieg haben sie sich gegenüber al-Assad neutral positioniert. Das hat ihnen eine gewisse Autonomie eingebracht, syrische Sicherheitskräfte sind hier weniger präsent als in anderen Teilen des Landes. «Diese Autonomie ermöglicht es den Menschen von Suwaida, sich politisch zu organisieren und Demonstrationen durchzuführen», sagt Daher.

Wie gross ist die Protestwelle? Auch in anderen von Damaskus kontrollierten Gebieten gibt es Proteste. Diese sind jedoch kleiner als die Demonstrationen in Suwaida. Berichte von Protestaktionen gibt es unter anderem aus Aleppo oder aus Daraa. Daraa gilt als Geburtsort des Arabischen Frühlings in Syrien. Vor zwölf Jahren fanden hier die ersten Proteste gegen al-Assad statt. Videoaufnahmen aus der Provinz Daraa zeigen nun Männer auf Motorrädern mit der Flagge des Oppositionsbündnisses «Syrian National Coalition». Das Bündnis hat den Sturz von al-Assad zum Ziel.

Wie reagiert Damaskus auf die Proteste? Damaskus hat bisher zurückhaltend auf die Proteste in Suwaida reagiert. «Ich glaube, das Regime versucht ein gewaltsames Unterdrücken der Proteste zu verhindern – in der Hoffnung, dass die Menschen müde werden und die Demonstrationen abflachen», so Daher. In anderen Teilen Syriens sieht es anders aus: «In Gegenden wie Damaskus, Aleppo oder der syrischen Mittelmeerküste ist al-Assads Sicherheitsapparat viel präsenter und versucht, Demonstrationen wie in Suwaida zu verhindern.»

Was bedeuten die Proteste für Baschar al-Assad? Baschar al-Assad und sein Machtapparat kontrollieren wieder grosse Teile Syriens – dank der Unterstützung Russlands und Irans. Im Frühsommer wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen. Ein Erfolg für al-Assad, der wegen des Bürgerkriegs jahrelang international geächtet wurde. «Die Demonstrationen zeigen jedoch die Schwäche des Assad-Regimes, Stabilität und Macht aufrechtzuerhalten», sagt Daher. Die Proteste bedeuteten aber nur beschränkte Gefahr für al-Assad: «Die Zukunft der Protestbewegung hängt davon ab, wie sie sich ausbreiten kann.»

Tagesschau, 2.9.2023, 19:30 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel