«Hier entsteht das Geschäftszentrum von Tatu City.» Preston Mendenhall deutet zum Autofenster hinaus. Büsche ziehen vorbei. Von einer Stadt ist nichts zu sehen.
Die private Satellitenstadt Tatu City war vor zehn Jahren noch eine belgische Kaffeeplantage. In einigen Jahren sollen 200'000 Menschen auf den 2000 Hektaren leben. Im Moment aber liegen noch 85 Prozent der Fläche brach.
Preston Mendenhall ist Vize-Chef der Firma Rendeavour, der Tatu City gehört, und führt uns mit dem Auto herum: «Hier entsteht der grösste neue Industriepark Ostafrikas mit 50 Firmen.» Riesige Lagerhäuser und Produktionshallen reihen sich entlang der menschenleeren Strasse aneinander.
Rasche Urbanisierung Afrikas
«Africa’s Urban Future» ist der Wahlspruch von Rendeavour. Das passt, denn junge Afrikanerinnen und Afrikaner zieht es in die Ballungszentren. Schon fast die Hälfte der Menschen südlich der Sahara wohnt in Städten. «Afrikas Städte wachsen weltweit am schnellsten», erklärt Mendenhall, «die Zentren sind überlastet. Darum ist die Lösung, Satellitenstädte in der Peripherie zu bauen.»
Die private Satellitenstadt Tatu City liegt 20 Kilometer ausserhalb von Kenias Hauptstadt Nairobi. Die Firma Rendeavour hat das Land gekauft und mit Strassen, Kanalisation und Stromversorgung versehen. «Wir reduzieren das Risiko für Landbesitzer», erklärt Mendenhall.
In Kenia ist Landkauf ein zäher Prozess. Betrügereien und Korruption sind an der Tagesordnung. Das erfuhr auch Mendenhall: «Der regionale Gouverneur erteilte Tatu City keine Baubewilligungen mehr – er wollte erst Geld sehen.» Schliesslich zonte Kenias Regierung das Land um – Tatu City ist nun eine nationale «Special Zone» mit Steuererleichterungen. Ein doppelter Sieg für Mendenhall.
«Es ist so sicher hier»
In Irene Sakudas Wohnung läuft der Fernseher an der Wand, die Hausangestellte macht die Wäsche, die Tochter lernt online im Zimmer. Die Mittdreissigerin Sakuda ist kürzlich in ihre neue Wohnung eingezogen und schwärmt: «Es ist so sicher hier!» Am Vorabend war sie mit der Tochter draussen spazieren. Das ist in Nairobi nach Einbruch der Dunkelheit wegen der Kriminalität nicht ratsam.
Sakudas Dreizimmerwohnung in der umzäunten Überbauung «Unity West» sieht aus wie in Mitteleuropa. Sie hat rund 50'000 Franken gekostet. Das kann sich die obere Mittelschicht Kenias leisten. Als Nachteil erachtet Sakuda, dass es in Tatu City noch keine Einkaufsmöglichkeit gibt. Zum Einkaufen und für den Schulweg der Tochter – ohne Auto läuft in Tatu City nichts.
«Glänzende Städte umgeben von Slums»
Private Satellitenstädte wie Tatu City entstehen in immer mehr afrikanischen Staaten. Für den freischaffenden Planer Constant Cap sind sie ein Symptom und nicht die Lösung der Probleme, welche die Urbanisierung schafft. «Schuld ist der schwache und korrupte Staat», erklärt er.
In Nairobis Zentrum herrscht ein Verkehrschaos, Fussgängerinnen müssen sich vor Taschendieben in Acht nehmen. «Die Oberschichten und Unternehmen schaffen sich neue Räume, wo die Regeln eingehalten werden», erklärt Cap. Dadurch werde schlechte Planung quasi legitimiert.
Doch private Städte wiederholten die Fehler der alten Zentren, so Cap. «Sie schaffen keinen Raum für Wenigverdiener.» Für die Putzkräfte und Sicherheitsleute etwa gibt es in Tatu City keinen öffentlichen Verkehr. «Man baut eine glänzende Stadt, umgeben von Slums.»
Gut oder schlecht für lokale Gemeinschaften?
«Das ist überall in Kenia so», entgegnet Stadtbauer Mendenhall. Tatu City bringe dafür Wohlstand in die umliegenden Dörfer, das zeige eine Studie im Auftrag von Rendeavour: «In den umliegenden Dörfern leben rund 4000 Menschen. In diese Gemeinschaften fliessen monatlich rund 20'000 Franken an Löhnen aus Tatu City. Ist das gut oder schlecht? Wir finden es gut!»
Viele Ladenbesitzer in der Umgebung von Tatu City konnten ihre Umsätze steigern. Weniger zufrieden sind die jungen Männer, die mit ihren Motorradtaxis auf Kunden warten. Für sie ist Tatu City tabu. «Wenn uns das Sicherheitspersonal erwischt, werden wir geschlagen», erzählt einer.
Die neue Stadt bringe ihnen nichts, ergänzt sein Kollege. «Davon profitieren nur jene, die schon erfolgreich sind.» Sonst würden sie nicht hier herumhängen und auf Arbeit hoffen.
Viele Städte enden als Bauruine
Wann steht die lebendige Stadt mit belebten Fussgängerzonen, die auf den PR-Bildern zu sehen ist? «In wenigen Jahren wird der Bau des Stadtzentrums beginnen», erklärt Preston Mendenhall. Eine genaue Prognose macht er nicht.
Viele hochfliegende Pläne von Retortenstädten enden als Bauruine. Oft sind die Pläne überdimensioniert, die Investoren bringen wenig Erfahrung mit. So plant etwa der US-Musiker Akon in Senegal und Uganda futuristische Städte.
«Es gibt viele Ankündigungen, nur wenige sind erfolgreich», erklärt Mendenhall. Man brauche Geduld, müsse den Markt kennen und vor Ort flexibel agieren. Seine Firma besitzt bereits seit 16 Jahren Erfahrung im Städtebau in Afrika. In Tatu City hat sie die vorerst geplante Industriefläche verdoppelt, weil die Nachfrage grösser war als im Wohnbereich.
Tatu City hat bereits abgehoben.
Städtebauer Mendenhall ist überzeugt: Tatu City, mit bereits dutzenden Firmen, zwei Schulen und hunderten verkauften Wohnungen, hat die kritische Anfangsphase überstanden. «Tatu City hat bereits abgehoben und fliegt. Die Geschäfte, die Menschen sind hier.»
Noch ist das Megaprojekt in erster Linie Busch. Doch in zehn bis zwanzig Jahren wird der Millionenmoloch Nairobi wohl um eine Vorstadt reicher sein.