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Probleme bei Boeing Wer ist verantwortlich, wenn am Flieger Schrauben locker sind?

Das Flugzeugunternehmen Boeing kommt nicht aus den Negativschlagzeilen heraus. Die Fluggesellschaft United Airlines hat bei Fliegern des Typs Boeing 737 Max 9 lose Schrauben und weitere Probleme entdeckt. Betroffen sei dasselbe Bauteil wie bei einem Zwischenfall am Freitag: Bei einer 737 Max 9 der Alaska Airlines war ein Teil des Rumpfs in der Luft weggebrochen. Das Flugzeug konnte notlanden. SRF-Aviatik-Experte Michael Weinmann zu den Problemen bei Boeing.

Michael Weinmann

SRF-Inlandredaktor & Aviatikexperte

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Michael Weinmann ist seit 2009 für SRF tätig («Schweiz aktuell», SRF Sport). Er ist Aviatik- und Raumfahrtexperte und verfügt über eine Privatpilotenlizenz.

Wer ist dafür verantwortlich, wenn an einem Flugzeug Schrauben locker sind?

Es gibt grundsätzlich zwei mögliche Auslöser. Es könnte einerseits ein Konstruktionsfehler gewesen sein; dass also diese losen Schrauben schon bestanden, als das Flugzeug fabrikneu geliefert wurde. Oder aber es war ein Problem bei der Wartung, dass also die Mechaniker und Ingenieure zum Beispiel diese Schrauben nicht richtig angezogen oder falsche Ersatzteile beschafft haben. Die Meldung von United Airlines, dass man nun genau bei diesem Teil Probleme entdeckt habe, lässt darauf schliessen, dass es sich eher um einen Konstruktionsfehler handeln dürfte. Es wäre ein gigantischer Zufall, wenn zwei unterschiedliche Firmen in der Wartung die genau gleichen Fehler gemacht hätten.

Loch klafft in der Flugzeugwand, aufgenommen aus dem Innern des Flugzeuges, Sitzreihen
Legende: Letzte Woche verlor eine Boeing der Alaska Airlines ein Rumpfteil. Die Passagiere hatten Glück im Unglück. Keystone/EPA/NTSB HANDOUT

Was sind die Folgen für Boeing?

Boeing befindet sich in einem direkten Konkurrenzkampf mit dem anderen grossen Hersteller Airbus, gerade wenn es um diese Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge geht: Airbus mit der A320-Linie und Boeing mit der 737-Max-Linie. Aber die Airlines werden nun nicht auf die Schnelle zur Konkurrenz wechseln. Flugzeugbestellungen sind ein Prozess, der Jahre dauert und sich auch häufig noch verzögert. Finanziell könnte der Vorfall Boeing aber empfindlich treffen. Boeing hat Schulden in der Höhe von rund 50 Milliarden US-Dollar – und die werden nicht weniger, gerade wenn sich herausstellen sollte, dass Boeing schuld ist am Problem mit diesem Bauteil, das bei Alaska Airlines abgebrochen ist. Gleichzeitig ist Boeing too big to fail – es kommt also wahrscheinlich gar nicht so darauf an, wie hoch die Schulden noch werden. Boeing wird und muss weiter bestehen.

Was bedeutet das Sicherheitsproblem bei Boeing für die Swiss?

Ich glaube nicht, dass das irgendeine Bedeutung hat für jene Fluggesellschaften, die keine Maschinen des Typs Boeing 737 Max 9 betreiben. Die Boeing 777, die auch die Swiss fliegt, ist ein Langstreckenflugzeug. Das ist eine ganz andere Konstruktion. Es wäre enorm überraschend, wenn sich das Problem auf andere Flugzeugtypen übertragen liesse.

Laut Flugunfallbüro wird Fliegen immer sicherer

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Die weltweite Zivilluftfahrt ist einer Datenauswertung zufolge im vergangenen Jahr sicherer geworden. Das Hamburger Flugunfallbüro Jacdec wies vergangene Woche gleichzeitig auf steigende Risiken in Russland hin, wo die Sanktionen zu Ersatzteilengpässen für die meist aus dem Westen stammenden Jets führten. Die Analyse wird in der Februarausgabe der Luftfahrtzeitschrift «Aero International» veröffentlicht.

Die Jacdec-Datenbank habe für das vergangene Jahr 1001 Unfälle und Zwischenfälle verzeichnet, die damit wieder das Niveau der Vor-Corona-Zeit erreicht hätten. Bei 45 Flugzeug-Totalverlusten kamen laut Jacdec weltweit 124 Menschen zu Tode. Das waren 109 weniger als noch im Vorjahr und 233 weniger als im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre. 72 Menschen starben Anfang Januar 2023 beim Absturz des Passagierflugzeugs ATR 72-500, das sich im Landeanflug auf den Pakhora International Airport in Nepal befunden hatte. Grundsätzlich gehen die Opferzahlen bei steigendem Verkehr seit den 1980er-Jahren zurück.

Als besonders sichere Fluggesellschaften schätzt Jacdec für das vergangene Jahr die arabische Emirates und die niederländische KLM ein.

Der Jacdec-Risikoindex beruht auf der Unfallhistorie der jeweiligen Fluglinie in den vergangenen 30 Jahren, der länderspezifischen Umgebung, in der sie operiert, sowie auf spezifischen Risikofaktoren der Fluglinien. Wichtig sind die von den Airlines geflogenen Passagierkilometer: Je mehr davon eine Fluggesellschaft unfallfrei zurücklegt, desto risikoärmer und damit sicherer gilt sie in diesem Ranking.

Kann man noch bedenkenlos in eine Boeing 737 Max 9 einsteigen?

Absolut. Gerade die Maschinen des Typs 737-9 werden nun besonders genau unter die Lupe genommen. Deshalb gehe ich davon aus, dass wir so einen Zwischenfall wie bei der Alaska-Airlines-Maschine jetzt lange nicht oder nie mehr sehen werden. Grundsätzlich achte ich als Passagier zudem nicht in erster Linie darauf, in welchen Flugzeugtyp ich einsteige, sondern bei welcher Airline. Wichtig ist mir, dass ein Flugzeug nach der Lieferung über die nächsten 10, 20 Jahre professionell und regelmässig gewartet wird.

SRF4 News, 09.01.2024, 06:00 Uhr ; 

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