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Proteste an US-Unis «Es ist diesmal eine relativ kleine Gruppe an den Universitäten»

Dramatische Szenen an der Columbia University in New York: Die Polizei strömt aufs Gelände und stürmt das Gebäude, in das pro-palästinensische Studierende eingedrungen sind. Der Gaza-Krieg hallt in den USA nach, die Studentenschaft ist geteilt in ihren Haltungen zum Krieg und dazu, ob ihre Universität Firmen, die mit Israel zu tun haben, weiterhin unterstützen soll oder nicht. Politologe Stephan Bierling ordnet das Geschehen ein.

Stephan Bierling

USA-Experte

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Bierling lehrt seit 2000 als Professor für Internationale Politik an der Universität Regensburg und leitet die Professur für Internationale Politik und transatlantische Beziehungen. Er ist als Analyst der US-Innen-, Wirtschafts- und Aussenpolitik für diverse Medien tätig.

SRF News: Nachdem einzelne vom Studium an der Columbia Universität in New York suspendiert worden waren, stürmte eine Gruppe die Hamilton Hall. Sie ist das Gebäude, das Studierende in den 60er-Jahren aus Protest gegen den Vietnamkrieg besetzt hatten. Lassen sich diese zwei Bewegungen miteinander vergleichen?

Stephan Bierling: Nicht wirklich. Die Bilder, die wir sehen, sind zwar relativ ähnlich. In den USA ging im Vietnamkrieg die Opposition von den grossen Eliteuniversitäten aus. Hier sehen wir durchaus eine Parallele. Man ist sehr stark politisiert, gerade in den linken Universitäten. Aber es ist diesmal doch eine relativ kleine Gruppe an den Unis. Der Protest gegen den Vietnamkrieg hat sich dann zu Massendemonstrationen, an denen nicht nur Studenten beteiligt waren, verstärkt.

Es gibt in den USA eine wachsende Minderheit an muslimischen und arabischstämmigen Bürgern.

Wieso eskaliert die Thematik zurzeit an gewissen US-Universitäten?

Es hat damit zu tun, dass es in den USA eine wachsende Minderheit an muslimischen und arabischstämmigen Bürgern und damit auch Studenten gibt. Die tun sich mit den Sozialisten zusammen, die an den sozialwissenschaftlichen Fakultäten der Eliteuniversitäten stark vertreten sind. Sie kriegen viel Unterstützung auch innerhalb der Demokratischen Partei von Leuten wie Bernie Sanders oder Alexandria Ocasio-Cortez.

Mehrere Polizisten, dazwischen eine vermummte Person
Legende: Die Polizei nimmt Studierende der Columbia Univeristät in New York, die ein Gebäude besetzt haben, fest. Keystone/Marco Postigo Storel

Welchen Einfluss haben diese Proteste auf die amerikanische Gesellschaft?

Sie werden zum politischen Zankapfel in den USA. Die Republikaner sehen eine Möglichkeit, die Demokraten anzugreifen. Die Demokraten waren es, die von den muslimischen Schwarzen, von den Arabischstämmigen in den USA, von den Sozialisten, von den Studenten, von den Uni-Dozenten stark gewählt wurden. Gleichzeitig war die Partei auch Heimat für viele jüdische Wähler. Die Republikaner haben versucht, einen Keil zwischen die unterschiedlichen demokratischen Wählergruppen zu treiben, und das gelingt ihnen ganz gut im Moment.

Das heisst: Auch aus aussenpolitischen, geopolitischen, strategischen Erfordernissen können sich die USA nicht so eindeutig auf die Seite von Jerusalem schlagen, wie sie es nach dem 7. Oktober in den ersten Tagen gemacht haben.

Welchen Einfluss haben diese Proteste auf die amerikanische Aussenpolitik?

Biden muss lavieren, nicht nur aus diesen innenpolitischen Gründen, sondern auch aus aussenpolitischen. Biden steht zwar nachdrücklich hinter Israel, aber gleichzeitig haben die Amerikaner mit Saudi-Arabien, mit Ägypten, mit Jordanien wichtige arabische Verbündete. Das heisst: Auch aus aussenpolitischen, geopolitischen, strategischen Erfordernissen können sich die USA nicht so eindeutig auf die Seite von Jerusalem schlagen, wie sie es nach dem 7. Oktober in den ersten Tagen gemacht haben. Je länger der Krieg in Gaza andauert, desto stärker werden die Amerikaner gezwungen, eine Vermittlerrolle einzunehmen und zu versuchen, die arabischen Verbündeten bei der Stange zu halten. Und es gibt auch diesen Wettbewerb um die Dritte Welt, die heute Globaler Süden heisst. Es ist ein Wettbewerb mit China und anderen, die auch hier einen Keil zwischen die USA und Israel auf der einen Seite und den Entwicklungsländern auf der anderen Seite treiben wollen.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.

Rendez-vous, 01.05.2024, 12:30 Uhr ; 

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