SRF News: Weshalb glauben Sie, dass sich die Proteste in den USA gegen Präsident Trump mehr sind als ein Strohfeuer?
Dieter Rucht: Das ist vor allem in der Person von Donald Trump begründet. Er tritt als Egomane auf, quasi als absolutistischer Monarch. Deshalb bündelt sich die ganze Kritik, die sich unter anderen Umständen auf verschiedene Ministerien und Behörden verteilen würde, auf seine Person.
Bei der «Occupy»-Bewegung gab es auch einen gemeinsamen Feind – die Wall Street. Trotzdem ist die Bewegung versandet ...
Bei «Occupy» wurden öffentliche Plätze über Tage, Wochen oder Monate besetzt. Das machen nur wenige Leute mit. Hinzu kommt, dass «Occupy» teilweise auch wegen internen Problemen niedergegangen ist. So wollten die Aktivisten keine Repräsentationsstrukturen und sie lehnten Bündnisse mit etablierteren Protestorganisationen ab.
Bei Trump und der Kritik an ihm ist die Situation anders: Hinter den Protesten steht eine ganze Bandbreite an ressourcenstarken zivilgesellschaftlichen Organisationen. Sie sind in vielen Politik-Bereichen aktiv, wie etwa im Frauen- oder Umweltbereich. Zudem wird es vermutlich zu einem Bündnis mit der parlamentarischen Opposition, dem Kernbereich der Demokratischen Partei, kommen. Ausserdem ist auch eine Reihe von Gruppierungen, die von Künstlern bis hin zu den wichtigsten Unternehmern der IT-Branche – Stichwort Apple, Google oder Facebook – reicht, gegen Trump. Der US-Präsident hat also nicht nur ein paar Leute auf der Strasse gegen sich, sondern er hat mit einem breiten Widerstand an vielen Fronten zu rechnen.
Besteht dabei nicht die Gefahr, dass sich die Kritiker verzetteln und keinen gemeinsamen Nenner finden?
Wenn alle diese Gruppen eine einheitliche Politik definieren müssten, bestünde diese Gefahr in der Tat. Doch das müssen sie gar nicht. Auf absehbare Zeit genügt es, sich gegen spezifische Vorhaben Präsident Trumps zu wenden. Der grosse gemeinsame Nenner ist dabei die Kritik an Trump, an seinem Auftreten und an seinem Politikstil. Dabei wird die fachliche Kritik jeweils von der thematisch-spezifisch betroffenen Gruppen vorgetragen.
Die ganze Kritik wird auf Trump als Person gebündelt.
Führen die Proteste all dieser verschiedenen Gruppierungen die USA nicht in einen Zustand ständiger Konflikte?
Für die nächste Zukunft ist dies tatsächlich absehbar. Die bereits stark polarisierten USA werden sich weiter polarisieren. Dies auch deshalb, weil sich ein Teil der Noch-Anhängerschaft Trumps enttäuscht abwandern oder sich resigniert zurückziehen wird. Moderatere Unterstützer, die zunächst Hoffnung in ihn gesetzt hatten, werden sich also von Trump abwenden. Auf Seite des Präsidenten bleibt dann ein deutlich radikalisierteres und härteres Lager übrig, das Trump weiter unterstützen wird.
Die Chancen für eine starke Anti-Trump-Bewegung sind sehr gut.
Ist es nicht etwas Wunschdenken, davon auszugehen, dass die Unterstützung für Trump weiter abnehmen wird?
Tatsächlich besteht die Gefahr, dass man sich selber zunächst einmal Mut zuspricht. Doch unter den beschriebenen Umständen sind die zusammengenommenen Chancen – in der Fachwissenschaft heisst das Gelegenheitsstrukturen – für eine starke Anti-Trump-Bewegung sehr gross.
Falls es so kommt: Welche politische Wirkung werden die Proteste entfalten können?
Der reine Strassenprotest wird kaum etwas bewirken. Doch Trump wird an vielen Stellen gebremst und entzaubert werden. Seine Selbstpräsentation als Macher und dynamische Kraft, die das Establishment in den USA aushebelt, wird er längerfristig nicht aufrechterhalten können. Der Lack wird abblättern.
Das Gespräch führte Monika Glauser.