Seine Vorgängerin Natalia Estemirowa wurde ermordet und viele Mitstreiter haben Tschetschenien verlassen. Oyub Titiew blieb. Der 61-Jährige leitete das tschetschenische Büro der angesehenen Menschenrechtsorganisation Memorial.
Er half Familien, die ihre verschleppten Söhne suchen und er prangerte illegale Festnahmen und geheime Gefängnisse an. Vieles, was man über die Untaten des autoritären tschetschenischen Regimes weiss, weiss man dank Titiews Arbeit.
Seit gut einem Jahr sitzt er aber in Haft. Der Vorwurf: Besitz von Marihuana. Der Prozess läuft; es drohen bis zu zehn Jahre Haft und es sieht nicht gut aus. «Wir rechnen mit einem Schuldspruch, danach werden wir natürlich in Berufung gehen», sagt Anwalt Ilja Nowikow. Er und zwei weitere Verteidiger sind in Moskau an die Medien gelangt. Sie sehen darin ihre einzige Chance, den Fall ihres Mandanten einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen.
Es geht in diesem Fall nicht nur um Titiew. Es geht darum, Memorial aus Tschetschenien zu vertreiben.
Von der tschetschenischen Justiz sei keine Gerechtigkeit zu erwarten, sagen sie – im Gegenteil: Der Prozess wirkt wie ein regelrechter Schauprozess. Die Anwälte berichten von lügenden Polizisten, gefälschten Beweismitteln und eingeschüchterten Zeugen.
Klima totaler Willkür
Der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow hat ein Klima totaler Willkür geschaffen. Trotzdem versucht das russische Anwaltstrio von Titiew unermüdlich, die Unschuld ihres Mandanten zu beweisen.
Verteidigerin Marina Dubrowina demonstriert in Moskau, wie das Drogenpaket ausgesehen hat, das die Polizei angeblich im Auto des Menschenrechtlers fand. 200 Gramm Marihuana in Plastiksäcke gehüllt, darin ein Klebstreifen mit Haaren von Titiew dran.
Wir rechnen mit einem Schuldspruch, danach werden wir natürlich in Berufung gehen.
Nach Angaben der Anwälte ein unbrauchbares Beweismittel, denn: Die Polizei habe Titiew nach seiner Verhaftung mit Klebstreifen Haare ausgerissen. Anwältin Dubrowina fasst zusammen: Der ganze Fall sei eine plumpe Fälschung; das Drogenpaket sei Titiew untergeschoben worden. Tatsächlich ist Titiew dafür bekannt, dass er nicht raucht, keinen Alkohol trinkt, denn er ist gläubiger Muslim.
Kein Platz für Menschenrechtler
Zeugenaussagen zufolge hatte er nie etwas mit Drogen zu tun gehabt und er hat mehrfach die Befürchtung geäussert, dass man ihm Drogen unterschieben könnte. Eine immer wieder angewendete Methode, um unliebsame Bürger ins Gefängnis zu bringen.
«Es geht in diesem Fall nicht nur um Oyub Titiew. Es geht darum, die Menschenrechtsorganisation Memorial aus Tschetschenien zu vertreiben», sagt Anwältin Dubrowina. Und tatsächlich musste Memorial seine Tätigkeit in der Region inzwischen weitgehend einstellen.
Tschetschenien ist Russlands schwarzer Fleck – ein Ort, an dem Gesetz und Recht nicht mehr gelten. Zweimal in den letzten 30 Jahren hat Moskau Krieg geführt, weil die kleine Kaukasus-Republik sich abspalten wollte.
Jetzt sieht das russische Herrschaftsprinzip so aus: Präsident Ramsan Kadyrow darf tun was er will, solange er dem Kreml die Treue schwört. Diesen Spielraum nutzt der tschetschenische Gewaltherrscher gnadenlos aus. Für Menschenrechtler gebe es in Tschetschenien keinen Platz mehr, sagte er kürzlich.