Der katalanische Separatisten-Chef Carles Puigdemont, der im Exil in Brüssel lebt, besucht zurzeit Genf. Ein Gespräch über Demokratie und gebrochene Versprechungen.
SRF News: Carles Puigdemont, seit November leben Sie in Belgien. Wie sieht ihr Alltag im Exil aus?
Carles Puigdemont: Auf persönlicher Ebene ist es hart. Das empfehle und wünsche ich wirklich niemandem. Trotzdem hat es auch positive Seiten, weil ich von dort aus frei reden und für die katalanische Sache kämpfen kann. Ich habe die Möglichkeit Interviews zu geben, ich kann in Zeitungen Artikel schreiben, sogar im Wahlkampf mitmachen und meine Rechte verteidigen.
Warum haben Sie ausgerechnet Belgien als Exil ausgewählt?
Ich habe eigentlich vielmehr Brüssel ausgewählt, statt Belgien als Land. Brüssel als Hauptstadt Europas. Brüssel ist für uns Katalanen ein Zuhause, eine Heimat. Und es war mir wichtig, diese symbolische Verbindung zwischen uns zu betonen. Die Wahl Brüssels hatte aber auch ganz praktische Gründe: Hier sind viele Institutionen daheim, internationale Organisationen. Es ist ein Zentrum für viele Medien und liegt sehr zentral. Für mich vereinfacht das Vieles.
Die EU hat diese Liebe aber nicht unbedingt erwidert. Die EU-Führungsriege und die wichtigsten Staatschefs haben sich letzten Herbst demonstrativ auf die Seite der spanischen Regierung gestellt. Und dies, obschon Sie mehrmals an die EU appelliert haben, sich für die Sache einer unabhängigen katalanischen Republik einzusetzen. Das hat Sie enttäuscht.
Sie haben recht. Aber eigentlich hat mich das nicht enttäuscht, das haben wir so erwartet. Die Institutionen und die EU-Staaten konnten nicht anders. Etwas aber hat mich sehr enttäuscht – und das sage ich als EU-Bürger, nicht als Politiker: Die Bequemlichkeit, die Indifferenz, die Insensibilität angesichts der Verletzung der Bürgerrechte, für die die EU sonst immer einsteht. Das tat weh.
Da hatte ich gehofft, dass mein Europa, das immer so mutig ist wenn es darum geht, anderen Ländern auf der Welt Lektionen zu erteilen, laut gesagt hätte, dass es nicht geht, dass die Polizei, wie bei uns geschehen, mit Gewalt Wahllokale stürmt. Das hat mich enttäuscht, ja.
Viele Ihrer Mitstreiter sind in Spanien geblieben und sitzen nun im Gefängnis. Sie aber sind ins Ausland geflüchtet. Warum sind sie nicht in Spanien für ihre Ideen eingestanden?
Ich stehe doch für meine Idee ein, jeden Tag, seit ich weg bin. Ich darf aus Belgien aus frei reden und schreiben. Das hätte ich nicht gekonnt, wäre ich in Spanien geblieben und im Gefängnis gelandet. Mein Vize ist im Gefängnis, mein designierter Nachfolger ebenfalls. Sie konnten bei den Neuwahlen keinen Wahlkampf machen. Und: Von Belgien aus konnte ich diesen politischen Konflikt international noch besser bekannt machen.
Kurios finde ich ja: Gegen mich lief ein internationaler Strafbefehl, der aus welchen Gründen auch immer wieder aufgehoben wurde. Obschon man mich in Spanien als Schwerkriminellen sieht und 30 Jahre Gefängnis fordert. Warum wohl?
Spanien wirft mir schwere Verbrechen vor, getraut sich aber gleichzeitig nicht, meine Verhaftung zu fordern.
Was denken Sie, warum?
Aus politischen Gründen. Wissen Sie, Spanien weiss wo ich wohne. Ich verstecke mich nicht. Man wirft mir schwere Verbrechen vor, getraut sich aber gleichzeitig nicht, meine Verhaftung zu fordern. Das ist, weil die spanische Regierung genau weiss, dass es keine juristischen Grundlagen gibt, die meine Verhaftung rechtfertigen würden.
Nun benutzt Spanien aber diesen internationalen Haftbefehl auf opportunistische Weise, in dem man ab und zu öffentlich über eine Wiederaktivierung sinniert. Um Druck zu machen. In dieser Sache hat die internationale Öffentlichkeit deutlich sehen können, wie wenig Basis dieses spanische Vorgehen hat.
Als Sie und ihre Regierung Ende Oktober die unabhängige Republik Katalonien ausriefen, wussten Sie, dass ein beträchtlicher Teil der Katalanen nicht von Spanien weg will, und gegen die Unabhängigkeit ist. Ist dieser Teil der Bevölkerung weniger wert als der andere, der sich abspalten will?
Zuerst einmal: Das war nicht ich. Das war das katalanische Parlament, das die Unabhängigkeit erklärt hat. Aber ja, Sie haben recht. Es gibt Katalanen, die sich nicht abspalten wollen von Spanien. Wir wissen aber nicht wie viele. Und wenn nun das Gegenteil wahr ist: Nämlich dass wir zwar zu Spanien gehören, die Mehrheit der Katalanen das aber gar nicht will? Müssten die das einfach hinnehmen?
Klar: da gibt es einen Konflikt, den man mit Wahlen lösen kann. Und dann das Resultat akzeptiert, wie auch immer es aussieht. Das ist was wir wollten und wollen – ein Referendum. Sie in der Schweiz schaffen es ja auch, das Volk zu befragen. Das ist etwas das funktioniert. Man muss die Leute fragen und das Resultat akzeptieren, wie auch immer es aussieht.
Ich sehe kein Problem, wenn ganz Spanien darüber abstimmt, aber entscheiden müssen schon die Katalanen.
In der Schweiz hat das gesamte Stimmvolk darüber abgestimmt, ob der Jura ein eigenständiger Kanton sein kann. Wären Sie einverstanden, dass die gesamte spanische Bevölkerung über die katalanische Abspaltung abstimmt?
Es gibt nur einen einzigen vergleichbaren Fall, wie der des Kantons Jura. Das war als Algerien über seine Unabhängigkeit von Frankreich abstimmte. Sonst passiert das nie so. Nun gut, ich betone: Wenn die spanische Zentralregierung uns diesen Vorschlag macht, bin ich bereit mir das anzuhören. Dann würden wir endlich in den Dialog treten und über Politik sprechen. Aber für mich wäre das Resultat in Katalonien relevant. Das wäre für mich bindend.
Ich sehe kein Problem, wenn ganz Spanien darüber abstimmt, aber entscheiden müssen schon die Katalanen. Leider gibt es keinen Dialog, keinen Vorschlag von spanischer Seite. Hat Spanien einen Plan für Katalonien? Wir warten darauf, so dass wir anfangen können miteinander zu reden. Und vielleicht würden wir uns ja annähern.
Sie fordern eine Mediation mit der spanischen Regierung. Sollte die Schweiz diese Rolle der Mediatorin übernehmen?
Ich muss vorsichtig sein mit entsprechenden Appellen, darum halte ich mich fern davon. Aber ja, ich will eine internationale Mediation. Ich glaube, solche Konflikte setzen zuerst guten Willen voraus, aber auch Aussenstehende, die uns dabei helfen, und die vor allem überprüfen, ob Vereinbarungen, die getroffen werden, eingehalten werden. Und zwar von beiden Seiten, auch der unseren. Da gibt es Länder, die ihre Hilfe bereits angeboten haben. Wir akzeptieren solche Hilfe bedingungslos, aber Spanien war bis jetzt nicht bereit dazu. Das ist sehr schade.
Wir beneiden die föderale Kultur der Schweiz.
Die Schweiz wäre perfekt – sie ist neutral, nicht EU-Mitglied.
Klar, viele Länder wären dazu geeignet. Aber ja, die Schweiz hat darin eine gewisse Tradition, eine föderale Kultur, auf die wir neidisch sind.
Wenn Sie zurückblicken: Was war ihr grösster Fehler?
Es gibt einen Fehler, den ich im Nachhinein sehr bereue. Das war am 10. Oktober, als ich entgegen aller Erwartungen die Unabhängigkeitserklärung Kataloniens hinausschob. Ich tat das, nachdem ich klare und direkte Botschaften von oberster Stelle der spanischen Regierung bekommen hatte, die mich daran glauben liessen dass wir in den Dialog miteinander treten würden. Man sagte mir: «Wenn Du die Unabhängigkeitserklärung aussetzt, temporär, fangen wir mit Gesprächen an.»
Ich bereue es, dass ich die katalanische Unabhängigkeit nicht am 10. Oktober ausgerufen habe.
Wer sagte das?
Das werde ich Ihnen nicht verraten. Aber ich versichere Ihnen, dass das von offizieller Stelle kam. Und mir aus verschiedenen Kreisen angetragen wurde. Und auch international gab es entsprechende Signale. Ich nahm damals meine Verantwortung wahr, obschon das Volk die Unabhängigkeit ausrufen wollte. Ich wartete also und hoffte auf diesen Dialog. Aber eine Woche später waren wir noch schlechter dran. Ich bereue es, dass ich die katalanische Unabhängigkeit nicht am 10. Oktober ausgerufen habe.
Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.