Der Separatistenführer Carles Puigdemont verzichtet «vorläufig» auf die Präsidentschaft in der spanischen Konfliktregion Katalonien, wie er gestern Abend über Twitter mitgeteilt hat. Seine Wortwahl sei in erster Linie Symbolpolitik, sagt Journalistin Julia Macher im Gespräch.
SRF News: Puigdemont schreibt, er wolle «vorläufig» nicht kandidieren. Wie ist das zu deuten?
Julia Macher: Das ist in erster Linie eine symbolische Geste an seine Anhänger, die ihn weiterhin als legitimen Präsidenten betrachten und am Traum einer unabhängigen katalanischen Republik festhalten. Puigdemont will mit dieser Wortwahl das Tauziehen mit der Zentralregierung in Madrid aufrechterhalten. Sie soll seinen Anhängern und Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy vermitteln: «Ganz weg bin ich noch nicht.»
Die Wortwahl soll seinen Anhängern und Rajoy vermitteln: ‹Ganz weg bin ich noch nicht.›
Symbolpolitik ist ein ganz wichtiger Bestandteil der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung – egal, ob das realpolitische Konsequenzen hat, oder nicht.
Die Lage in Katalonien ist verfahren, die Parteien zerstritten: Hat Puigdemont diese Ausweglosigkeit eingesehen?
Ja, das hat er. Wenn man seinen privaten Handy-Nachrichten glauben darf, die ein spanischer Privatsender letzte Woche gefilmt hat, weiss Puigdemont schon seit ein paar Wochen, dass die Katalanen ihn und seine Partei Convergència aufgegeben haben. Das jedenfalls schrieb er Kabinettsmitglied Toni Comín, der ebenfalls in Brüssel weilt.
Inzwischen ist allerdings auch die eigene Partei Convergència von Puigdemont abgerückt.
Inzwischen ist allerdings auch die Convergència von Puigdemont abgerückt. Sie fordert eine effektive Regierung, und das ist von Brüssel aus schlecht möglich. Puigdemonts Koalitionspartner, die Links-Republikaner, sehen das genauso. Sie wollen zudem auf keinen Fall noch jemanden aus ihrer Partei ins Gefängnis schicken. So blieb Puigdemont tatsächlich nichts anderes übrig, als das offen einzugestehen und diesen Schritt zurückzugehen.
Als Nachfolger Puigdemonts wird Jordi Sánchez gehandelt. Er sitzt aber in Untersuchungshaft. Wie realistisch ist das?
Das ist nicht sehr realistisch. Rajoy möchte einen Kandidaten, der weder in Untersuchungshaft sitzt, noch in laufenden Verfahren steckt oder sich ausserhalb Spaniens aufhält. Das alles macht eine Wahl von Sánchez eigentlich unmöglich.
Sánchez wäre schon der zweite rechtmässig gewählte Kandidat, den die spanische Regierung und Justiz verhindern würden.
Das bringt auch Rajoy in die Bredouille: Denn Unabhängigkeitsaktivist Sánchez wäre schon der zweite rechtmässig gewählte Kandidat, den die spanische Regierung und Justiz verhindern würden. Spanien stünde so nicht gerade als demokratischer Musterschüler da. Genau das ist auch das Kalkül der Separatisten. Sie möchten der Weltöffentlichkeit zeigen, dass Spanien nicht mit ganz lauteren Mitteln kämpft.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.