In dieser Woche wird in Kuba Raúl Castros Nachfolger an die Staatsspitze gehievt. Erstmals seit der Revolution vor einem halben Jahrhundert wird der Inselstaat damit von einem «Nicht-Castro» regiert. Der Journalist Oscar Alba lebt in Havanna und ordnet die Bedeutung dieser historischen Zäsur im Gespräch mit SRF ein.
SRF News: Oscar Alba, bedeutet Raúl Castros Rückzug eher eine Zäsur und Zeitenwende oder sehen wir vielmehr eine Zementierung des Systems durch Verjüngung?
Raúls Rücktritt als Staats- und Regierungschef ist sicherlich eine Zäsur für die Menschen in Kuba. 80 Prozent der Bevölkerung kennen ja kein anderes System als das der Castros. Zum ersten Mal nach fast 60 Jahren fragen sie sich nun: Wer ist unser nächster Präsident? Zum ersten Mal wird dieser keine Militäruniform tragen und keiner von der «historischen» Generation sein, die 1959 Teil der Revolution waren.
Vergangenheit, Auftritte und Reden der neuen Generation deuten eher auf Kontinuität als auf Veränderung hin.
Ob dieser Generationenwechsel an der Staatsspitze eine Zeitenwende ist oder letztlich nur das System Castro zementiert, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Wenn man die Vergangenheit, die Auftritte und Reden der Personen anschaut, die jetzt kommen, sieht es eher nach Kontinuität als nach Veränderung aus.
Raúl Castro will noch bis 2021 Parteivorsitzender bleiben. Bedeutet das, dass er aus dem Hintergrund weiter die Fäden zieht?
Gemäss Verfassung ist die Partei die höchste Instanz im Land und somit deren Chef auch die Person mit der grössten Macht. Doch die Partei war bis jetzt in Kuba nicht so wichtig wie zum Beispiel in China oder Vietnam. Sie war wie alle Institutionen in Kuba lediglich ein Instrument der Castros.
Raúl Castro wird, solange er geistig gesund ist, auch weiterhin mächtig und wichtig sein für Kubas Zukunft – unabhängig davon, wie lange er Parteichef bleibt. Dasselbe gilt für die anderen Urgesteine, die alle zwischen 85 und 90 Jahre alt sind.
Die «Historischen» der Revolución
Raúls designierter Nachfolger als Staatschef ist der 57-jährige Miguel Diaz-Canel. Wer ist er?
Diaz Canel ist ein linientreuer Parteifunktionär, der sich 30 Jahre lang zäh und zielstrebig nach oben gearbeitet hat. Der gelernte Elektronikingenieur ist ein politischer Zögling Raúls. Dieser hat ihn über Jahre aufgebaut und schon vor fünf Jahren als seinen Nachfolger designiert. Ob Díaz-Canel am 19. April tatsächlich als Staatschef bestätigt wird, wissen die Kubaner nicht. Im hermetisch geschlossenen System Castro ist bis jetzt dazu absolut nichts nach Aussen durchgedrungen.
Nur das Notwendige ändern, damit sich nichts ändert.
Die Menschen in Kuba sind skeptisch und misstrauisch gegenüber Díaz-Canel. Er wird als einer bezeichnet, der sorgfältig von den alten Urgesteinen instruiert wurde. Sie haben das Land in den letzten Jahren nach dem Prinzip geführt: Nur das Notwendige ändern, damit sich nichts ändert.
Wird sich Diaz-Canel als erster «Nicht-Castro» gar durch einen besonders harten Kurs gewissermassen als der Revolution würdig erweisen müssen?
Das ist die grosse Frage, die sich in Kuba alle stellen. Bis jetzt sieht es nicht so aus, dass die jüngere Generation eine völlig neue Richtung einschlagen wird. Es ist jedoch möglich, dass die Neuen mit dem stillen Segen der Alten dringend anstehende und immer wieder aufgeschobene Reformen und Veränderungen angehen. Veränderungen, die Raúl und seine Urgesteine nicht umsetzen konnten oder wollten, weil sie sich einem historischen Kompromiss mit der Revolution und dem Erbe Fidel Castros verpflichtet fühlten.
Berechtigte Hoffnungen auf eine demokratische Zukunft dürfen sich die Kubaner also keine machen?
Von politischen Veränderungen hinsichtlich Demokratie, eines Mehrparteiensystems, Medien- und Meinungsfreiheit spricht in Kuba niemand. Auch rechnet niemand damit, dass die neue Regierung diesbezüglich etwas verändert, zumindest vorerst nicht.
Fidel Castro hielt seine Nachkommen stets von der Politik fern.
Die «Aktualisierung» des kubanischen Sozialismus beschränkt sich auf wirtschaftliche Reformen. Die sind in Kuba dringender denn je, denn Venezuela, der grösste Verbündete, von dem Kuba abhängig ist wie einst von der Sowjetunion, steht wirtschaftlich am Abgrund.
Wird Kuba in Zukunft nach Fidel und Raúl gar wieder einmal von einem Castro regiert werden?
Auch darüber rätselt man in Kuba. Tatsache ist, dass Raúl seinen einzigen Sohn, Alejandro Castro, schon vor Jahren zu einem der mächtigsten Männer im Hintergrund aufgebaut hat. Der 52-Jährige ist Raúls persönlicher Berater und dirigiert im Schatten unter anderem die Geheimdienste. Der zweite einflussreiche Mann im Schatten ist ein Schwiegersohn Raúls, Luis Alberto Rodríguez. Er ist Chef eines Gremiums, das grosse Teile der kubanischen Staatswirtschaft dirigiert, die wiederum von den Militärs beherrscht wird. Diese beiden Männer werden wohl keine politischen Mandate übernehmen, sondern im Hintergrund bleiben.
Fidel hielt seine Nachkommen stets von der Politik fern. Es wäre eine Überraschung, wenn jemand aus der Familie Castro in eine offizielle, politische Führungsfunktion gehievt würde.