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Räumung von Lützerath Schweizer Klimaaktivistin: «Unser Kampf ist noch nicht vorbei»

Ein kleines Dorf macht seit Tagen grosse Schlagzeilen: Lüzerath im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen soll vollständig abgerissen werden, damit Braunkohle abgebaut werden kann. Nach fünf Tagen hat die Polizei das Dorf vollständig geräumt. Mehrere hundert Klimaaktivistinnen und -Aktivisten hatten den Ort tagelang besetzt. Beim Protest kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und Polizeikräften. Mit dabei war auch die Schweizer Klimaaktivistin Annika Lutzke.

Annika Lutzke

Schweizer Klimaaktivistin

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Die 20-jährige Klimaaktivistin aus Zürich engagiert sich vor Ort als Mediensprecherin der Demonstrierenden. Sie will gemäss eigenen Angaben noch mehrere Wochen in der Region von Lützerath bleiben.

SRF News: Warum demonstrieren Sie in Lützerath gegen den Kohleabbau? Eigentlich ist ja bereits entschieden, dass in dieser Region weniger Kohle abgebaut werden darf.

Annika Lutzke: Es ist absurd, dass immer noch Menschen enteignet und zwangsumgesiedelt werden, um Braunkohle zu fördern – die dreckigste Energiequelle überhaupt. Und in dem Abkommen, das Sie erwähnen, ist nur die Rede von Jahreszahlen. Der Kohleausstieg in Deutschland soll spätestens 2038 enden, wird sich aber bereits nach 2030 wegen des Emissionshandelssystems finanziell gar nicht mehr lohnen.

Darum geht es in Lützerath

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Deutschland verfügt über riesige Braunkohlevorkommen, will die Verstromung aus Klimaschutzgründen aber bis spätestens 2038 beenden. In Nordrhein-Westfalen stimmte der Energiekonzern RWE zu, den Ausstieg auf 2030 vorzuziehen. Teil der Vereinbarung ist, dass Lützerath noch abgebaggert werden darf.

Auch die Grünen in der nordrhein-westfälischen Landesregierung haben dem zugestimmt. Der kleine Weiler an der Kante des Braunkohletagebaus Garzweiler ist von seinen Einwohnern schon lange verlassen worden. Klimaaktivistinnen und -aktivisten haben das Gelände daraufhin besetzt und sich zum Widerstand formiert. Nachdem Vermittlungsversuche gescheitert waren, beschlossen die Behörden die Räumung des Weilers.

In der aktuellen Energiekrise mit hohen Preisen rechnet der Energiekonzern RWE nun damit, dass in kürzerer Zeit noch mehr Kohle abgebaggert und verfeuert wird, als bis 2038 geplant ist.

Bei den Protesten gab es Verletzte auf Seiten der Aktivisten wie auch bei der Polizei. Ist das noch im Interesse eines friedlichen Protestes?

Es kann nicht im Interesse der Gesellschaft sein, dass ein Polizeieinsatz für tausende oder sogar Millionen Euro durchgeführt wird. Es sind tausende Polizeibeamte im Einsatz, um einen friedlichen Protest zu räumen. Auf unserer Seite wurden Dutzende Menschen ins Krankenhaus eingeliefert, auch auf Seiten der Polizei gab es einige Verletzte. Sie hat aber selbst zugegeben, dass viele Verletzungen davon kamen, dass sie im Schlamm gestürzt oder anderweitig verunglückt sind.

Haben Protestierende die Konfrontation gesucht, damit es Schlagzeilen gibt?

35'000 Menschen haben sich versammelt, um für den Erhalt von Lützerath einzustehen. Es ist eine Frechheit, dass wir für diesen Protest nicht in das Dorf hereingelassen wurden. Deswegen haben sich Menschen zusammengeschlossen und sich gewehrt. Sie wollten an dem Ort, an dem diese Zerstörung passiert, protestieren. Doch die Polizei wollte das verhindern und hat eine Festung aufgebaut.

Polizisten tragen Demonstranten weg
Legende: Fünf Tage lang hat die Polizei das kleine Braunkohledorf Lützerath geräumt. Nach der Grossdemo am Samstag werfen die Klimaaktivisten der Polizei massive Gewalt vor. Es gäbe Schwerverletzte. Die Polizei meldet 70 verletzte Beamte. Keystone/DPA/Frederico Gambarini

Am Sonntagnachmittag gab es in Lützerath nur noch wenige Protestierende, die sich verschanzt hatten. Ansonsten ist alles abgeriegelt und Baumaschinen sind bereits an der Arbeit. Was bringt Ihr Protest noch?

Unser Kampf ist noch nicht vorbei. Er hat aber auch nicht erst mit Lützerath angefangen. Er hat angefangen mit indigenen Menschen, die im globalen Süden seit hunderten Jahren gegen die koloniale Umweltzerstörung gekämpft haben. Wir haben diesen Kampf in Lützerath weitergeführt und machen das so lange, wie die 280 Millionen Tonnen Kohle noch im Boden sind. Wir planen Aktionen und kämpfen dafür, dass wir sofort aus der dreckigen Kohle aussteigen und eine klimagerechte Zukunft aufbauen können.

Energiekonzern RWE «entsetzt» über Gewalt

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Der Energiekonzern RWE teilte am Samstagabend mit, man sei «entsetzt über die Aggressionen und die Gewalt, die von Teilen der Aktivisten ausgingen». Dies habe mit der ansonsten friedlichen Demonstration nichts mehr zu tun. «Wer völlig enthemmt Steine und Feuerwehrkörper auf Polizisten wirft und versucht Absperrungen zu durchbrechen, kritisiert nicht die Energiepolitik, sondern attackiert das gesellschaftliche Fundament unseres Rechtsstaats.»

Es sei tragisch, dass es aufgrund der Ausschreitungen zu Verletzungen gekommen sei. Das Unternehmen beklagte auch «erhebliche Sachbeschädigungen» an eigenen Fahrzeugen und Anlagen. «Mehrere Brunnen und Schaltanlagen wurden während der Demonstration von Aktivisten mutwillig zerstört.»

Sie wollen also noch wochenlang vor Ort protestieren, obwohl Sie damit gar nichts mehr erreichen?

35'000 Menschen sind nach Lützerath gekommen, um zu protestieren. Daran erkennen wir, dass wir etwas erreicht haben. Weltweit erleben wir Solidaritätsbekundungen, Menschen schliessen sich unserem Protest an. Wir konnten hier ein grosses und entscheidendes Momentum für die Klimagerechtigkeitsbewegung schaffen.

Das Gespräch führte Rino Curti.

Heute Morgen, 16.01.2023, 6:13 Uhr ; 

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