Frankreichs Staatspräsident ist angetreten, um das Land zu reformieren – und er tut es für französische Verhältnisse im Eiltempo. Mit der kürzlich verabschiedeten Bahnreform hat Emmanuel Macron einen weiteren wichtigen Sieg gegen die Gewerkschaften errungen.
Macron verfolge einen strategischen Plan, auch deshalb sei er bislang so erfolgreich, sagt die Frankreich-Kennerin Eileen Keller. Doch es gebe Bereiche, in denen der Präsident noch besser werden müsse.
SRF News: Vor wenigen Tagen stimmte das französische Parlament für die umstrittenen Bahnreformen, im Herbst waren es Arbeitsmarktreformen. Warum gelingt es Macron, seine Reformpakete einigermassen rasch und reibungslos durchzubringen?
Eileen Keller: Er ist vor gut einem Jahr mit einem klaren Reformkurs angetreten. Schon im Wahlkampf hatte er angekündigt, welche Bereiche er angehen möchte – jetzt setzt er dieses Programm um. Das anerkennen die Franzosen, sie lassen ihn vorerst mal gewähren.
Macron benutzte die in Frankreich quasi heilige Sommerpause für die Arbeitsmarktreform. Den Gewerkschaften blieb kaum Zeit, dagegen mobil zu machen.
Gleichzeitig geht Macron sehr strategisch vor. So benutzte er etwa die in Frankreich quasi heilige Sommerpause des letzten Jahres dazu, um seine Arbeitsmarktreform durchzudrücken. Den Gewerkschaften blieb kaum Zeit, dagegen mobil zu machen. Und bei der nun verabschiedeten Bahnreform geht es weniger um die heutigen Angestellten, als um die zukünftigen. Das nimmt der Streikmacht viel Wind aus den Segeln.
Was macht Macron bei den Reformvorhaben anders als seine Vorgänger?
Bei Macrons Reformen gab es bisher keine Konvergenz der Widerstände – die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen haben sich nicht zu einer einzigen, grossen Protestbewegung zusammengeschlossen, wie das früher immer wieder der Fall war. Die Fälle von durch die Protestmacht des Volkes zu Fall gebrachten Reformversuchen liegen zwar schon länger zurück, trotzdem war Macrons Kurs mit Risiken verbunden.
Die Gewerkschaften werden im vorparlamentarischen Prozess stärker eingebunden als früher.
Tatsächlich hat der Protest auf der Strasse in den letzten Jahren tendenziell abgenommen. Das hängt unter anderem mit Veränderungen im Gewerkschaftslager zusammen. So sind in den vergangenen Jahren die reformorientierten Gewerkschaften in Frankreich stärker geworden. Sie tragen zumindest Teile der Reformen mit – nicht zuletzt deshalb, weil sie im vorparlamentarischen Prozess zunehmend stärker eingebunden werden.
Die Linke warnt, die Reformen könnten für den Präsidenten zum Bumerang werden und ihn bei den nächsten Wahlen Stimmen kosten. Sehen Sie das auch so?
Der Widerstand gegen die Bahnreform mit insgesamt über 30 Streiktagen war tatsächlich erheblich. Doch die unmittelbare Gefahr für Macron wird kaum von der Strasse kommen. Im Hinblick auf die nächsten Wahlen ist wichtig, dass seine Reformen bei den Franzosen als ausgewogen wahrgenommen werden. Daran muss er noch arbeiten. Bis zu nächsten Wahlen dauert es noch eine Weile, deshalb bleibt ihm noch einige Zeit für jene Reformen, die wehtun. Macron denkt wie gesagt strategisch, deshalb wird er im zweiten Teil seiner Amtszeit statt harter Reformen eher das eine oder andere Wahlgeschenk machen.
Macron muss noch daran arbeiten, dass seine Reformen als ausgewogen wahrgenommen werden.
Als Beobachter hat man das Gefühl, er drücke stark aufs Tempo mit seinen Reformen. Stimmt das?
Ja, er möchte ganz klar zeigen, dass er Reformen durchbringen kann, dass er Veränderungen im Land bewirken kann. Er weiss aber auch, dass Wirtschaftsreformen viel Zeit brauchen, bis sie wirken. Wenn er also jene Reformen, die der Wirtschaft helfen, möglichst rasch angeht, dann sind positive Auswirkungen am Arbeitsmarkt innert weniger Jahre möglich – also noch vor der nächsten Präsidentenwahl 2022.
Das Gespräch führte Andrea Christen.