Darf man nun – oder nicht?
Die britischen Pandemie-Regeln sind mittlerweile so vielfältig, dass kürzlich selbst der Premierminister arg ins Rudern kam, als er erklären sollte, wann und wo sich nun eigentlich noch sechs Leute treffen dürfen: «Generell dürfen sich sechs Personen sowohl drinnen wie draussen treffen. Im Nordosten gelten aber strengere Regeln, dort dürfen sich – soweit ich das verstehe – sechs Personen nur in Wohnungen und Restaurants treffen, aber keinesfalls draussen.»
Die Aussage war nicht nur verwirrend, sondern ebenso falsch. In Wohnungen sollen sich zur Zeit eben keine Menschen mehr treffen, besonders nicht im Nordosten. Zu sechst treffen kann man sich allenfalls noch draussen, aber nur mit der nötigen Distanz.
Kollektive Verwirrung
Premierminister Johnson musste sich einige Stunden später entschuldigen. Eine Zeitung schrieb: «Egal was Sie tun – hören Sie damit auf». Und die Johnson-Parodie von Komiker Matt Lucas hat im Netz wieder Hochkonjunktur:
Humor ist gerade in garstigen Zeiten wichtig, nur ist das Lachen vielen Menschen längst vergangen. Ein ranghoher Polizeioffizier klagte vor einigen Tagen, dass sich ein solches Chaos an Vorschriften nicht umsetzen lasse.
Die Britinnen und Briten seien durchaus bereit Regeln einzuhalten, sekundierte ihn die Labour-Abgeordnete Rachel Reeves, aber sie wollten diese Regeln nachvollziehen können. «Aber wenn nicht einmal der Premierminister die Regeln verstehen, die er und seine Regierung täglich in Kraft setzen, wird es heikel. Es verunsichert die Bürgerinnen und Bürger.»
Und selbst Parteifreunde des Premierministers wie der konservative Abgeordnete Steve Baker schütteln den Kopf: «Regeln funktionieren nur, wenn sie nachvollziehbar, klar, allgemeingültig und sicher sind. Dies ist das Fundament von Gesetzen.» Im Moment sei die Regierung daran, dieses Fundament zu zerstören.
«Ein trauriger Witz»
Was man in London nicht versteht, versteht man auch in der Peripherie des Königreichs nicht. Dies zeigt eine kleine Umfrage in Middle Wales. Gerade im Tourismus sei das Durcheinander an Regeln besonders schwierig, sagt der Hotelier Richard Griffiths: «Die walisische Regierung erlässt Regeln, die schottische Regierung erlässt welche und in London werden ebenfalls Regeln geschaffen und diese sind selbstverständlich nicht identisch.»
In London gelte eine Mindestabstand von einem Meter, bei ihnen seien es zwei Meter, mokiert sich der Hotelier: «Hier musst Du eine Maske tragen, dort nicht. Wenn wir also Radio hören, wenn wieder neue Regeln verkündet werden, muss man extrem gut aufpassen, welche nun genau wo gelten.»
Die ändern ihre Meinung ja mittlerweile jede Minute. Das Ganze ist ein Witz. Ein so schlechter wie trauriger Witz.
Einer, der mittlerweile nicht mehr hinhört, wenn die Regierung spricht, ist der Lastwagenfahrer John Jones. Er könne die Regierung schlicht nicht mehr ernst nehmen: «Die ändern ihre Meinung ja mittlerweile jede Minute. Das Ganze ist ein Witz. Ein so schlechter wie trauriger Witz.»
Leider ist die Pandemie kein Witz, sondern tödlicher Ernst. Corona hat in Grossbritannien bisher 42'000 Todesopfer gefordert. Durch eine verwirrende Kommunikation verlieren die Leute deshalb auf die Dauer nicht nur die Geduld, sondern ebenso das Wichtigste in einer Krise: Das Vertrauen in die Regierung.