Deutschland will mehr Soldaten rekrutieren. Doch der Streit zwischen Union und SPD über den neuen Wehrdienst ist eskaliert. Die Koalitionspartner liessen gestern Abend eine Pressekonferenz zu dem Gesetzesentwurf wegen zu grosser Unstimmigkeiten kurzfristig platzen. Unionspolitiker werfen Bundesverteidigungsminister Pistorius von der SPD Sabotage vor. Doch trotz des Streits soll das Gesetz morgen in den Bundestag. Deutschland-Korrespondentin Alexandra Gubser beantwortet die wichtigsten Fragen.
Wie hätte die Einigung zwischen Union und SPD ausgesehen?
Sie sollte ein goldener Mittelweg sein zwischen der Forderung der CDU/CSU nach mehr Zwang zum Wehrdienst und dem Beharren der SPD auf Freiwilligkeit. Die Einigung sah vor, dass mit einem Losverfahren zusätzliche Kräfte ausgesucht und zum Dienst in Uniform verpflichtet werden können, wenn sich nicht genügend Freiwillige zum Wehrdienst melden. Damit, so die Überlegung, müssen nicht ganze Jahrgänge herangezogen werden. Es ist ein Vorschlag der Union. Diese legte in den Verhandlungen offenbar auch schon ein Rechtsgutachten vor, das bescheinigen soll, dass es keine Willkür sei, wenn die Lottofee entscheidet.
Was kritisiert die SPD?
Verteidigungsminister Boris Pistorius von der SPD sah gestern in der Fraktion, dass von seinem Entwurf nicht viel übrig geblieben ist, und das macht ihn offensichtlich fuchsteufelswild. Pistorius besteht auf flächendeckenden Musterungen, die sich nicht auf mögliche Zielmarken festlegen, wann die Bundeswehr vielleicht wie viele Soldaten braucht. Er hat auch erhebliche Zweifel am Entscheid per Lottofee.
Warum befürchtet die Union, dass es zu wenige Freiwillige gibt?
Erstens, weil die angesprochene Altersklasse mehrheitlich gegen eine Wiedereinführung der Wehrpflicht ist. Zweitens, weil man sieht, dass die Bundeswehr mit Personalmangel kämpft, seit die Wehrpflicht vor vierzehn Jahren ausgesetzt wurde. Eigentlich bräuchte Deutschland 200'000 Frauen und Männer. Derzeit sind es knapp 182'000. Dazu ist Deutschland Nato-Mitglied und hat den neuen Verteidigungs- und Abschreckungsplänen auch zugestimmt. Es braucht dafür massiv mehr Personal als die derzeit 62'000 Soldaten im aktiven Dienst der Teilstreitkräfte. Über den Daumen gepeilt braucht die Bundeswehr 50'000 bis 60'000 zusätzliche Soldaten. Ganz zu schweigen von den Reservisten, an denen es auch fehlt.
Wie kommt die Regierung aus diesem Streit heraus?
Grundsätzlich sind Differenzen in einer Regierungskoalition normal. Aber hier müssen die Koalition und vor allem die Fraktionsspitzen wirklich nachbessern. Die Union hat bereits bei der Wahl ans Bundesverfassungsgericht gepatzt, musste die Abstimmung mehrfach verschieben, sich intern erst wieder finden. Hier gibt die SPD eine klägliche Figur ab, auch wenn das heute alles von Boris Pistorius höchstselbst wieder runter temperiert wird. Es wäre jedoch wünschenswert, dass man interne Konflikte auch intern austrägt und nicht die Öffentlichkeit dazu nutzt und eigene Standpunkte noch zementiert. Das Aussenbild dieser schwarzroten Koalition gleicht sich jedenfalls langsam aber sicher jenem der Ampelregierung an und man weiss, wie diese geendet hat.