Mit ernster Miene und klaren Worten richtet sich Premierminister Sébastien Lecornu am Dienstagnachmittag an die französische Nationalversammlung. Selten ist der halbrunde Saal so gut besetzt – und so ruhig – wie während Lecornus Rede.
Es geht dabei nämlich nicht nur um das Budget, sondern um den Weg aus der politischen Krise. Dafür brauche es einen Bruch, betont der ehemalige Verteidigungsminister gleich zu Beginn.
Mehr Macht für das Parlament
Seine Regierung werde darauf verzichten, den Staatshaushalt und andere Vorlagen mit Zwang durchzusetzen. Künftig werde das Parlament das letzte Wort haben. Was aus Schweizer Sicht selbstverständlich erscheint, ist in Frankreich eine Premiere – und ein wichtiger Schritt der Machtverlagerung hin zum Parlament.
Das heisst: keine monatelangen Debatten mehr, die am Ende einfach von der Regierung übergangen werden – wie dies etwa bei Macrons Rentenreform 2023 passiert ist, aber auch bei allen Budgetdebatten in den letzten Jahren.
Und Lecornu, der treue Weggefährte Emmanuel Macrons, geht noch weiter: «Ich bin bereit, die neuste Rentenreform sofort und vollständig auszusetzen.» Ein Satz, den man noch vor wenigen Wochen kaum im Mund eines französischen Premierministers erwartet hätte – und schon gar nicht von jemandem aus Macrons Partei.
Politische Instabilität teurer als Aussetzen der Rentenreform
Denn das Aussetzen der Rentenreform bedeutet, das politische Erbe von Macrons zweiter Amtszeit infrage zu stellen. Es bedeutet, einzugestehen, dass der Präsident geschwächt ist und seine Politik nicht mehr einfach fortsetzen kann, sondern auf andere Parteien zugehen muss.
Lecornu hat also entschieden, die Rentenreform seines Präsidenten zu opfern, um das Chaos zu vermeiden und einen Ausweg aus der Krise zu finden. Die halbe Milliarde Euro Mehrkosten im nächsten Jahr seien das kleinere Übel, verglichen mit den Kosten der politischen Instabilität.
Denn um die Woche zu überstehen, ist die Regierung auf die Duldung der Sozialisten angewiesen. Und für die Linke sind das Einfrieren der Rentenreform und der Verzicht auf Gesetzesbeschlüsse ohne Zustimmung des Parlaments zentrale Forderungen.
Premierminister Lecornu hat es geschafft, Emmanuel Macron zu überzeugen, Kompromisse einzugehen. Nun sind die Parlamentarier an der Reihe: Sie müssen lernen, Verantwortung zu übernehmen und Kompromisse zu machen.