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Regierungsbildung im Libanon erneut gescheitert
Aus Echo der Zeit vom 15.07.2021. Bild: Keystone
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Regierungskrise im Libanon Libanon: Politiker streiten um Ämter, während das Land zerfällt

Seit Oktober 2020 hat Saad Hariri als designierter Premier versucht, eine neue Regierung zu bilden. Heute Donnerstag hat er den Bettel hingeworfen. Libanon befindet sich in einer der weltweit schlimmsten Wirtschaftskrisen überhaupt, und versinkt jetzt noch mehr in den Abgrund.

Nur zwanzig Minuten dauerte Saad Hariris letzter Versuch, nach mehr als neun Monaten als designierter Premier doch noch eine Regierung zu bilden. Eine Regierung von Leuten, denen es nicht einfach nur um sich um ihre konfessionelle Klientel geht. Eine Regierung, der die Weltbank und andere Geldgeber genug vertrauen würden, um längst gesprochenes aber zurückgehaltenes Geld freizugeben, das der kleine Mittelmeerstaat so dringend nötig hätte.

Doch vom neuesten Kabinettsvorschlag Hariris wollte Staatspräsident Michel Aoun nichts wissen. Und von Aouns Änderungsvorschlägen wollte Hariri wiederum nichts wissen. Die beiden Männer hatten in den vergangenen Monaten kaum miteinander geredet, sondern vor allem über den anderen, und das immer schlecht. Nach zwanzig Minuten war die Sitzung heute vorbei, und Hariri trat von seinem Amt als designierter Premier zurück. Soll es ein anderer versuchen.

Staat als persönlicher Goldesel der Politiker

Nach dem Ende des Bürgerkrieges von 1975 bis 1990 haben die konfessionell gespaltenen politischen Eliten und die Kriegsherren die Macht in Libanon unter sich aufgeteilt. Ihre eigene Klientel war ihnen stets wichtiger als das Land als Ganzes. Und trotzdem: Diese Machtaufteilung bedeutete wenigstens ein Ende des blutigen Bürgerkrieges.

Über die Jahre wurde jedoch immer deutlicher: Libanons Politiker betrieben die Banken, die Staatskasse und andere staatliche Institutionen nicht wie einen Staat, sondern wie ihr persönlicher Goldesel. Das bekamen Libanesinnen und Libanesen immer mehr zu spüren. 2019 war der Lack ab: Hunderttausende gingen auf die Strasse, weil sie die Wirtschaftskrise schon schmerzlich spürten. Damals war Saad Hariri Premier, und er musste unter dem Druck der Strasse zurücktreten.

Am 4. August 2020 verwüstete eine verheerende Explosion im Hafen Beiruts ganze Quartiere der Hauptstadt. Weil im Hafen Unmengen Chemikalien gelagert wurden, und keiner etwas dagegen unternahm, obwohl die Politiker vor einer Katastrophe gewarnt worden waren. Wie jetzt auch.

Zynischer geht's nicht

Alle wissen, Libanon geht unter – sie wissen es schon lange. Die gleiche politische Elite plündert die Sparkonten ihrer Bürgerinnen und Bürger, diese haben kaum mehr zu essen, keine Medikamente mehr, keinen Strom, keine Zukunft. Und trotzdem wurde Hariri geholt, um das Land aus der Misere zu führen, obwohl er auch er zu dieser beigetragen hat.

Monatelang haben die gleichen Politiker um Ämter gestritten, während ihr Land immer mehr zerfällt. Es war, als ob ihnen das gar nicht auffallen würde. Dabei stünden Milliarden von Dollar bereit, um dem Land zu helfen. Nur, wem soll man es geben, jetzt, da Libanon weiterhin keine Regierung mehr hat, und wohl noch lange keine haben wird? Den Politikern scheint das egal zu sein. Zynischer geht’s nicht mehr.

Susanne Brunner

Susanne Brunner

Leiterin Auslandredaktion

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Susanne Brunner war für SRF zwischen 2018 und 2022 als Korrespondentin im Nahen Osten tätig. Sie wuchs in Kanada, Schottland, Deutschland und in der Schweiz auf. In Ottawa studierte sie Journalismus. Bei Radio SRF war sie zuerst Redaktorin und Moderatorin bei SRF 3. Dann ging sie als Korrespondentin nach San Francisco und war nach ihrer Rückkehr Korrespondentin in der Westschweiz. Sie moderierte auch das «Tagesgespräch» von Radio SRF 1. Seit September 2022 ist sie Leiterin der Auslandsredaktion von Radio SRF.

 

SRF 4 News, 15.07.2021, 17 Uhr

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