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Renommierter Ökonom in Haft Prominenter Regimekritiker in Aserbaidschan verhaftet

Die korrupte Elite heimst viel Geld ein. Einer, der das kritisierte, ist der Ökonom Gubad Ibadoghlu. Er sitzt seit Juli in Haft.

Der regimekritische Ökonom und Politaktivist Gubad Ibadoghlu war Ende Juli mit seiner Frau im Auto ausserhalb der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku unterwegs. Was sich dann abspielte, beschreibt seine Tochter Zhala Bayramowa so: Polizisten in Zivil seien auf ihre Eltern zugefahren, hätten deren Wagen gerammt, sie aus dem Auto geschleift, geschlagen und beschimpft. Dann seien ihre Eltern weggebracht worden, verhüllt, damit sie niemand erkennen konnte.

Seither sitzt der Ökonom in Baku in Haft. Angeklagt ist er wegen Besitzes und wegen Verbreitung von Falschgeld. Ausserdem will man extremistisches Material bei ihm gefunden haben.

Gubad Ibadoghlu
Legende: Gubad Ibadoghlu lebt seit Jahren in London im Exil. Im Juli war er auf Besuch in Aserbaidschan und wurde verhaftet, nachdem mehrere Fahrzeuge sein Auto offenbar absichtlich gerammt hatten. Human Rights Watch/Archivbild

Das sei völlig unglaubwürdig, sagen Bekannte, Mitstreiter und internationale Menschenrechtler wie etwa Giorgi Gogia von Human Rights Watch: «All die Vorwürfe sind offensichtlich gefälscht und dienen lediglich dem Zweck, eine wichtige kritische Stimme zum Schweigen zu bringen.»

Das sei das bekannte Vorgehen der aserbaidschanischen Regierung, die keine Kritik ertrage. Die Verhaftung von Ibadoghlu passe in dieses Muster. Internationale Organisationen schätzen, dass in Aserbaidschan mehr als 200 Personen wegen gefälschter und politisch motivierter Anklagen in Haft sitzen.

Wenn jemand mit Ibadoghlus Bekanntheit und internationalen Vernetzung so behandelt werden kann: Wie ungeschützt müssen sich dann weniger bekannten Aktivisten fühlen?
Autor: Giorgi Gogia Human Rights Watch

Doch im Fall Ibadoghlu, so Gogia, versuchten die Behörden nicht einmal, die Vorwürfe plausibel erscheinen zu lassen. Die Botschaft sei dafür umso deutlicher: «Wenn jemand mit seiner Bekanntheit und internationalen Vernetzung so behandelt werden kann: Wie ungeschützt müssen sich dann weniger bekannten Aktivisten fühlen?»

Zhala Bayramowa sagt dazu: Das Vorgehen gegen ihren Vater zeige, wie mächtig Präsident Ilham Alijew geworden sei und wie stark die staatliche Willkür und Unterdrückung. 

Ibadoghlu seit Jahren im Exil

Der 52-jährige Ökonom Ibadoghlu befasst sich seit Jahren mit Korruption, Intransparenz und Missmanagement in Aserbaidschan. Er forschte und publizierte dazu, engagierte sich in der Zivilgesellschaft und in der Politik. Seit mehreren Jahren lebt er im Exil. Zuletzt war er an der renommierten London School of Economics tätig; er arbeitet auch für internationale Organisationen. 

Viele seiner Publikationen könnten dem Regime missfallen haben: Er wies zum Beispiel nach, wie viele Luxusimmobilien die Familie des aserbaidschanischen Präsidenten Alijew allein in London besitzt. Er zeigte auf, wie sehr die Korruption Teil des autoritären Systems ist, das Alijew aufgebaut hat.  

Kritik an Vorgehen in Bergkarabach

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Im Herbst 2020 eroberte Aserbaidschan riesige Gebiete in und um Bergkarabach zurück, die Armenien fast 30 Jahre lang besetzt hielt (durch die jüngste militärische Offensive kontrolliert Aserbaidschan nun ganz Bergkarabach). Die Regierung hat in den letzten drei Jahren grosse Anstrengungen unternommen, die dortige Infrastruktur neu aufzubauen. Ein Prozess, den der Ökonom Ibadoghlu kritisch begleitet, wurde doch seine Familie einst von den Armeniern aus Bergkarabach vertrieben.

Doch das Gebiet ist nicht frei zugänglich – er selbst konnte, wie viele kritische Zeitgenossen, nicht dorthin. Die Zugangsbeschränkung gilt eigentlich, weil die Landstriche immer noch stark von Minen verseucht sind. Aber es sieht so aus, als erteilten die Behörden nur ihnen genehmen Personen eine Reisebewilligung.

Ein abgeschottetes Gebiet, in dem es keine Transparenz und keine Rechenschaftspflicht gebe, sei ein idealer Nährboden für Korruption, sagte Ibadoghlu diesen Frühling gegenüber Radio SRF. Flughäfen wurden gebaut, Strassen, Häuser, Hotels. Riesige Summen aus dem Staatsbudget flossen in diese Megaprojekte. Doch niemand wisse, wie viel Geld genau – exakte Ausgaben seien nicht erhältlich, so Ibadoghlu.

Das Gebiet sei zu einer Art exklusivem Offshore-Standort für das Business der aserbaidschanischen Elite geworden und auch für die mit ihr verbandelten Firmen aus der Türkei.

Inzwischen sitzt Ibadoghlu seit rund zwei Monaten in Haft. International mehren sich die Stimmen, die sich für ihn einsetzen. Mitte September verabschiedete das Europäische Parlament eine Resolution, welche die sofortige Freilassung des Wirtschaftswissenschafters verlangt. Auch das US-Aussenministerium äusserte Besorgnis.

Die Angehörigen hoffen, dass internationaler Druck Wirkung zeigen wird. Doch die jüngste Militäroffensive hat Alijews Macht noch mehr gefestigt und die Repression verstärkt: Mehrere Personen wurden jüngst festgenommen, weil sie es wagten, das militärische Vorgehen gegen Bergkarabach zu kritisieren. 

Aserbaidschan, die EU und die Schweiz

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Der Erdöl- und Erdgasproduzent Aserbaidschan ist wichtig für Europa. Um die Ausfälle aus Russland zu kompensieren, schloss die EU mit dem Land im Sommer 2022 ein Abkommen zur Verdoppelung der Gaslieferungen. EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete Aserbaidschan als «zuverlässigen Partner». Gleichzeitig importiert Aserbaidschan vermehrt Gas aus Russland – was dem Land ermöglicht, mehr eigenes Erdgas nach Europa zu liefern.

In der Schweiz ist die staatliche aserbaidschanische Energiegesellschaft Socar stark vertreten, mit einer Handelsfirma und mit Tankstellen. Ausserdem betreibt Socar zusammen mit Migrolino Tankstellenshops. Interessant ist auch, dass die Schweiz im vergangenen Jahr wieder Rohöl aus Aserbaidschan importiert hat, nachdem in den zwei Jahren davor keine Einfuhren stattgefunden hatten. Prominent in Aserbaidschan vertreten ist der Schweizer Zementkonzern Holcim. Es gibt Meldungen, wonach Holcim Aserbaidschan auch in den neu eroberten Gebieten in und um Bergkarabach investieren will.

Echo der Zeit, 25.9.2023, 18:00 Uhr

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