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Richter Carl Baudenbacher Ein Schweizer nutzt die Gunst der Stunde

Bei den weiteren Verhandlungen zwischen Grossbritannien und der EU wird die Gerichtsbarkeit ein Knackpunkt sein. Ein Abkommen will die EU nur dann abschliessen, wenn ein Gericht festgelegt wird. Die Frage ist nur: Welches?

Jetzt geht es ans Eingemachte. Nachdem sich Grossbritannien und die EU letzte Woche im Grundsatz auf die Scheidungs-Modalitäten geeinigt haben, können die Gespräche über die künftige Beziehung beginnen. Einer der grössten Knackpunkte in den Verhandlungen über ein britisch-europäisches Wirtschaftsabkommen wird die Gerichtsbarkeit sein.

Die EU hat bereits klargemacht: Sie will ein Abkommen nur abschliessen, wenn ein Gericht festgelegt wird, das im Streitfall Urteile fällen kann. Und Grossbritannien hat seinerseits klargemacht: Auf gar keinen Fall soll dieses Gericht der EU-Gerichtshof (EuGH) sein.

«Nicht an politischer Integration interessiert»

Es könnte die Stunde des Schweizers Carl Baudenbacher und seines Efta-Gerichtshofs sein. Baudenbacher sieht für den Mini-Gerichtshof, den er seit 2003 präsidiert, eine grosse Zukunft. «Es hat in den vergangenen Jahrzehnten immer so ausgesehen, als ob die EU alles aufsaugen würde», sagt Baudenbacher.

Aber die Geschichte der Schweiz und die neueste Entwicklung in Grossbritannien zeigen, dass es Länder gibt, die zwar interessiert sind an einer wirtschaftlichen Integration, aber eben nicht an einer politischen.
Autor: Carl Baudenbacher Präsident Efta-Gerichtshof

Regierungspartei ist gespalten

Genau für diese Länder, glaubt Baudenbacher, wäre sein Gericht die ideale Instanz, um über die korrekte Anwendung von Abkommen mit der EU zu urteilen. Seit Jahren weibelt er für sein Gericht. Und seit dem Brexit-Entscheid sieht er sich seinem Ziel näher denn je.

Tatsächlich stösst das Efta-Gericht in Grossbritannien auf Interesse. In einem Positionspapier hat Brexit-Minister David Davis den Gerichtshof Baudenbachers als ein mögliches Streitschlichtungs-Modell ins Spiel gebracht. Und damit seine eigene Partei – die regierende Konservativen – gespalten.

Ich sehe den Nutzen nicht.
Autor: John Redwood Tories
John Redwood.
Legende: Ist nicht auf Baudenbachers Seite: Der konservative John Redwood. Reuters

Bill Cash, einer der prominentesten EU-Kritiker im britischen Unterhaus, hält den Efta-Gerichtshof für eine gute Lösung: «Das Gericht hat viele Vorteile.» Ganz anders sieht das sein Parlamentskollege John Redwood, auch er ein scharfer EU-Kritiker: «Ich sehe den Nutzen nicht.»

Bislang fristete der Efta-Gerichtshof ein unscheinbares Dasein. Er wurde 1994 für den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) geschaffen. Seine Zuständigkeit erstreckt sich auf die drei Efta-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein, die über den EWR mit dem EU-Binnenmarkt verbunden sind.

Rolle noch offen

Der Efta-Gerichtshof ist der kleine Bruder des EuGH. Beide haben ihren Sitz in Luxemburg. Die drei Richter am Efta-Gerichtshof entscheiden in letzter Instanz, ob das EWR-Recht in Norwegen, Island und Liechtenstein korrekt angewendet wird. Das Gleiche tut der EuGH für die 28 EU-Staaten.

Welche Rolle der Efta-Gerichtshof für Grossbritannien ganz genau spielen könnte, ist offen und wäre Teil von Phase zwei der Brexit-Verhandlungen, die im März beginnen sollen.

Bloss eine Kopie des EuGH?

Bislang steht der Efta-Gerichtshof nur Staaten offen, die dem EWR beigetreten sind. Doch das liesse sich ändern. Denkbar wäre zum Beispiel, dass ein britisch-europäisches Wirtschaftsabkommen Bestimmungen aus dem EU-Recht enthält und dass dafür der Efta-Gerichtshof – mit einem britischen Richter – darüber Recht spricht.

Freilich monieren Kritiker, das Gericht sei bloss eine Kopie des EuGH und achte erst recht penibel genau auf die buchstabengetreue Anwendung der EWR-Regeln, die ihren Ursprung im EU-Recht haben. Zwischen Efta-Gerichtshof und EuGH gebe es eigentlich keinen Unterschied.

Carl Baudenbacher auf CNN.
Legende: Der Schweizer Präsident des Efta-Gerichtshofs betreibt Lobbying. SRF

CNN, BBC und die besten Universitäten

Baudenbacher widerspricht. «Der Efta-Gerichtshof hat in den letzten 24 Jahren Efta-Werte aufrechterhalten, andere Werte als die der EU», sagte er vorvergangene Woche an der einflussreichen britischen Denkfabrik Institute for Government: «Einen stärker marktwirtschaftlichen Ansatz, mehr Glaube an den Wettbewerb, zum Beispiel.»

Drei Monate vor seinem Rücktritt als Gerichtspräsident ist der 70-jährige Baudenbacher öfter auf Werbetour in London. Er gibt TV-Interviews, hält öffentliche Vorträge, trifft Politiker hinter verschlossenen Türen. CNN, BBC, die besten Universitäten Grossbritanniens: Wohl selten hat ein Richter so viel Lobbying in eigener Sache betrieben wie Carl Baudenbacher dieser Tage.

Der Efta-Gerichtshof hat in den letzten 24 Jahren Efta-Werte aufrechterhalten, andere Werte als die der EU.
Autor: Carl Baudenbacher Präsident Efta-Gerichtshof

Baudenbacher ist ein «fremder Richter»

Sollte der Efta-Gerichtshof tatsächlich einmal eine Rolle spielen im Verhältnis zwischen Grossbritannien und der EU, wäre das die Krönung von Baudenbachers Karriere. Er wuchs im aargauischen Zofingen auf, lehrte als Rechtsprofessor in Deutschland, den USA und an der Universität St. Gallen.

Als Liechtenstein vor 24 Jahren dem EWR beitrat, war Baudenbacher Berater der Regierung in Vaduz. Sie entsandte ihn – den Schweizer – schliesslich als «liechtensteinischer» Richter an den Efta-Gerichtshof, neben einem norwegischen und einem isländischen Kollegen.

So gesehen ist Baudenbacher tatsächlich ein «fremder Richter», und auch seine Heimat kam ihm oft fremd vor. Denn die gleichen Argumente, mit denen er heute in Grossbritannien auf Werbetour geht, fanden in der Schweiz – bis jetzt – kaum Anklang.

Option für die Schweiz?

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Auch die Schweiz ist Mitglied der Efta, gehört aber nicht dem EWR an und stellt deshalb keinen eigenen Richter. Der Efta-Gerichtshof wird auch ins Spiel gebracht, wenn es darum geht, welche Instanz bei Streitfällen zwischen der Schweiz und der EU schlichten soll.

Bundesrat wählte das EuGH-Modell

Seit 2014 verhandeln die Schweiz und die EU über ein institutionelles Rahmenabkommen. Auch dabei geht es um die Frage, ob in Zukunft eine richterliche Instanz Streitfälle schlichten können soll. Vor Verhandlungsbeginn legten der damalige Schweizer Staatssekretär Yves Rossier und der Verhandlungsführer der EU, David O’Sullivan, in einem Geheimdokument die Eckpunkte des geplanten Abkommens fest.

Bei der Frage des zuständigen Gerichts zeigten die Diplomaten drei mögliche Modelle auf: mit einem neuen, eigenständigen Gericht, mit dem Efta-Gerichtshof oder mit dem EuGH. Der Bundesrat wählte schliesslich das EuGH-Modell als Grundlage für die Verhandlungen.

Cassis stellt «Reset» in Aussicht

Doch die Verhandlungen stecken fest, und Baudenbacher sieht sich in seiner Kritik bestätigt. Das EuGH-Modell sei immer eine «Absurdität» gewesen. Hoffnungen setzt Baudenbacher jetzt in den neuen Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis.

Ignazio Cassis.
Legende: Will die schweizerische Europapolitik überdenken: Aussenminister Ignazio Cassis. Keystone

Cassis hatte einen «Reset» in Aussicht gestellt, einen Neuanfang in der schweizerischen Europapolitik. Und in der Schweiz mehren sich die Stimmen, die den Efta-Gerichtshof als bessere Alternative zum EuGH sehen.

Nun wird sich also entscheiden, ob Baudenbachers grosser Traum in Erfüllung geht, ob in den Verhandlungen Grossbritanniens und der Schweiz mit der EU der Efta-Gerichtshof als Streitschlichtungsinstanz ernsthaft in Erwägung gezogen wird. Carl Baudenbacher würde dann als Richter in Erinnerung bleiben, der vor allem auch ein erfolgreicher Anwalt seines eigenen Gerichts war.

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