Die Labour-Partei setzt sich für eine «neue, umfassende Zollunion» mit der EU nach dem Brexit ein. Das hat Labour-Chef Jeremy Corbyn in einer Rede angekündigt. 20 Monate nach dem Brexit-Referendum tappe das Land immer noch im Dunkeln über die Absichten der zerstrittenen konservativen Regierung, stellte er zutreffend fest.
In der Tat hatte eine achtstündige Retraite der Regierung letzte Woche zu einem buntscheckigen Modell geführt, das in Brüssel als «pure Illusion» verspottet wurde.
Spott auch auf der Insel selbst
Der frühere Premierminister Tony Blair meinte, die Konservativen könnten sich nicht entscheiden zwischen Marktzugang und Souveränität. «Jedes Mal, wenn die Tories dieses Problem zu lösen versuchen, formulieren sie es einfach um.»
Jede Einigung zum Frühstück wird zum Mittagessen sabotiert und am Abend aufgegeben.
Corbyn, der nur wenig mit seinem Vorvorgänger gemeinsam hat, witterte Inkompetenz. «Jede Einigung zum Frühstück wird zum Mittagessen sabotiert und am Abend aufgegeben.»
Labour bekennt Farbe
Die Opposition hat sich lange nicht festlegen wollen, doch nun macht die Labour-Partei Nägel mit Köpfen: Im Gegensatz zur Regierung von Theresa May, die aus der europäischen Zollunion austreten will, fordert Labour nun deren Beibehaltung.
44 Prozent der britischen Exporte gingen in die EU, 50 Prozent der Importe kämen von dort. «Es ist im beiderseitigen Interesse, dass diese Güterströme zollfrei bleiben», stellt Corbyn fest. Er sprach in Coventry, einer klassischen Automobilstadt.
Jedes Auto der Marke Mini – heutzutage im Besitz von BMW – überquere den Ärmelkanal dreimal in einer 3000 Kilometer langen Reise, bis es fertig vom Förderband rolle. Das spricht für eine Zollunion.
Harsche Reaktionen
Labours neues Bekenntnis hat zwei direkte Konsequenzen. Zum einen wird es endlich denkbar, dass die Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland unsichtbar bleibt.
Doch gleichzeitig zerstört die Zollunion den Traum der strammen Brexit-Befürworter. Sie schwärmen unablässig von den Segnungen neuer Handelsverträge mit Drittstaaten. Diese sind in einer Zollunion aber ausgeschlossen.
Der Wendepunkt für die Premierministerin ist nah, denn die Parlamentsmehrheit unterstützt ihre Haltung zur Zollunion nicht.
Der EU-Parlamentarier Nigel Farage sprach deshalb von einem Ausverkauf Corbyns, während Aussenminister Boris Johnson bemerkte, damit werde Grossbritannien zur EU-Kolonie.
Tage der May-Regierung angezählt?
Die rabiaten Reaktionen verraten Ängste. Rund ein Dutzend konservative Abgeordnete will die Zollunion nämlich auch. Ende April oder Anfang Mai wird das Unterhaus darüber abstimmen.
Keir Starmer, Labours Brexit-Sprecher, drohte gestern mit einer empfindlichen Niederlage: «Der Wendepunkt für die Premierministerin ist nah, denn die Parlamentsmehrheit unterstützt ihre Haltung zur Zollunion nicht.» Und diese Mehrheit verlangt Gehör – eher früher als später.
Niemand kennt die Konsequenzen: Kann Theresa May überleben, wenn ein Eckpunkt ihres Plans entfällt? Kann der Brexit selbst überleben, ohne eine handlungsfähige Regierung?