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Diplomatischer Erfolg für die Türkei
Aus Echo der Zeit vom 29.03.2022. Bild: Reuters
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Rolle der Türkei Der Krieg könnte Ankara wieder näher an den Westen führen

Seit mehr als einem Monat führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Tausende Zivilisten und Soldaten sind dabei umgekommen. Den angerichteten Schaden beziffert die ukrainische Seite auf mehr als eine halbe Billion Dollar. Immerhin: Jetzt sprechen Moskau und Kiew wieder miteinander – zuletzt am Dienstag in Istanbul.

Über die spezielle Rolle der Türkei zwischen dem Westen und Russland weiss der Türkei-Spezialist bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin, Günter Seufert, mehr.

Günter Seufert

Günter Seufert

Leiter des Centrums für angewandte Türkeistudien CATS

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Seufert ist der Leiter des Centrums für angewandte Türkeistudien (CATS) bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Davor war er unter anderem als freier Autor und Journalist in Istanbul tätig.

SRF News: Warum übernimmt gerade die Türkei die Vermittlerrolle zwischen Moskau und Kiew?

Günter Seufert: Die Türkei betreibt eine interessante und ausgeglichene Politik: Sie gehört zur Nato, hat sich aber den Sanktionen gegen Russland nicht angeschlossen. Zudem hat sie sich bei der Abstimmung über den Ausschluss Russlands aus dem Menschenrechtsrat enthalten. Sie ist mit beiden Seiten vernetzt und bietet sich deshalb als Gesprächsort an.

Ein wenig Hoffnung nach Gesprächen

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Legende: Keystone

Nach dem Treffen ukrainischer und russischer Unterhändler am Dienstag in Istanbul sprach der russische Vertreter, Wladimir Medinski, von konstruktiven Gesprächen. Als «vertrauensbildende Massnahme» kündigte das Verteidigungsministerium in Moskau an, die militärische Aktivität rund um Kiew und Tschernihiw drastisch zu verringern.

Die Ukraine bot Neutralität und den Verzicht auf einen Nato-Beitritt an. Als Garantieländer werden etwa Israel, die Türkei, Kanada und Polen genannt. Zudem sollte für die von Russland 2014 annektierte ukrainische Halbinsel Krim eine 15-jährige Prüfphase vereinbart werden. Die Ukraine würde nicht der Nato beitreten und auf die Schaffung ausländischer Militärbasen im Land verzichten.

Laut Medinski werden die Vorschläge der Ukraine an Präsident Wladimir Putin übermittelt. Die Verringerung des Militäreinsatzes sei einer von zwei Schritten, die Moskau zur Deeskalation unternehme. Der zweite sei ein Treffen Putins mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski. Dieses sei nur möglich, wenn zuvor eine Vereinbarung zwischen den Aussenministern beider Länder erzielt worden sei. (reuters)

Wie bewährt sich die Türkei bisher in diesem Balanceakt zwischen dem Westen und Russland?

Sehr erfolgreich. So kritisiert etwa die Nato die Türkei derzeit nicht für ihre Haltung – auch wenn einzelne Regierungschefs dabei ausscheren. Doch aus den USA, aus Frankreich oder Deutschland ist eine solche Mahnung an die Adresse Istanbuls bislang ausgeblieben. Wir sehen vielmehr, dass die Nato-Staaten versuchen, mit der Türkei sicherheitspolitisch wieder näher zusammenzuarbeiten.

Trotz Verhandlungen Bombardements

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Ungeachtet der Verhandlungen in Istanbul setzten die russischen Truppen ihr Bombardement in der Ukraine auch am Dienstag fort. So sei ein grosses Treibstofflager der ukrainischen Streitkräfte in der nordwestlichen Region Riwne mit Marschflugkörpern zerstört worden, meldete die russische Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf das russische Verteidigungsministerium. Und nach ukrainischen Angaben wurden sieben Menschen getötet, als eine russische Rakete das Gebäude der Regionalverwaltung in der südukrainischen Stadt Mykolaiw traf. (reuters)

Wie wichtig ist es für die Nato, diesen Gesprächskanal zwischen Moskau und Kiew via Türkei offenzuhalten?

Mehr als das geht es der Nato wohl darum, die Türkei langfristig fester im westlichen Lager zu halten. Nach dem gescheiterten Militärputsch 2016 in Ankara hat die Türkei ihre Fühler sehr konkret nach Moskau ausgestreckt und auch versucht, die Beziehungen zu China zu vertiefen.

Der Nato geht es wohl vor allem darum, die Türkei langfristig im westlichen Lager zu halten.
Autor:

Seit dem Syrienkrieg – die USA unterstützen dort die Kurden in Nordsyrien und Irak, was Ankara gar nicht gerne sieht – entwickeln sich die Interessen zwischen der Türkei und den USA immer stärker auseinander. Die USA werden von den Türken inzwischen als die grösste Gefahr für die Sicherheit ihres Landes wahrgenommen. Diese Distanz versucht die Nato jetzt, ein Stück weit zu vermindern.

Stark von Moskau abhängig

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Für die Türkei ist es wegen der Abhängigkeit von Russland nicht einfach, sich dem Westen zuzuwenden. Ein grosser Teil des Gases und des Öls kommt von dort, rund 80 Prozent des importierten Getreides stammen aus Russland oder der Ukraine. Zudem stellte Russland in den letzten Jahren am meisten Touristen in der Türkei, und in der türkischen Bauindustrie geht ohne die Russen nicht viel. «Deshalb geht der Westen wohl auch etwas mit Samthandschuhen mit der Türkei um», sagt Günter Seufert. Die grosse Abhängigkeit von Moskau werde der Türkei jetzt aber sehr deutlich vor Augen geführt, was wohl dazu führe, dass sie ihre Beziehungen zum Westen wieder zu stärken versuchen werde.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sorgte im Westen in letzter Zeit für eher negative Schlagzeilen. Kann er sein Ansehen mit der Vermittlerrolle im Ukraine-Krieg jetzt etwas verbessern?

Wichtiger als die Vermittlerrolle ist wohl die Rolle des Partners in der westlichen Sicherheitspolitik. Im Westen ist man überzeugt, dass man nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine die europäische Sicherheitspolitik und -architektur neu denken und ausrichten muss.

Die Türkei spiel in der europäischen Sicherheitspolitik ein wichtige Rolle.
Autor:

Da spielt die Türkei eine wichtige Rolle, deshalb ist der Westen auch an einer wirtschaftlichen Stabilität im Land interessiert – auch wenn das teilweise auf Kosten von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei gehen könnte.

Das Gespräch führte Christina Scheidegger.

SRF 4 News, Echo der Zeit vom 29.3.2022, 18:00 Uhr;

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