Desmond Shum lebt heute in Grossbritannien. Seine frühere Ehefrau und Geschäftspartnerin Whitney Duan ist in China verschwunden. «Verschwunden»: ein in China häufig gebrauchter Euphemismus für Personen, die von den Behörden aus dem Verkehr gezogen werden. «Sie war während vier Jahren verschwunden. Aber nie angeklagt. Keine Rechte auf einen Anwalt, nichts. Ein solches System ist zu allem fähig», sagt Desmond Shum.
Sie können geschnappt werden, wenn Sie das Gesetz brechen, aber auch einfach, weil Sie bei jemandem in Ungnade gefallen sind.
Von Whitney Duan hört Shum erst wieder kurz vor der Veröffentlichung seines Buches. In einem plötzlichen Telefonanruf bittet sie ihn, das Buch auf keinen Fall zu veröffentlichen. «Ein offensichtlich erzwungener Anruf», sagt Shum.
Kontakt zu den Mächtigsten
Die beiden verkehrten während Jahren in der High Society in Peking, auch dank eines engen Kontakts zur Ehefrau des früheren Premierministers Wen Jiabao. In China müsse man immer eine mächtige Person an seiner Seite haben. Denn auf die Gesetze allein könne man sich nicht verlassen.
«Man operiert immer in einer Grauzone, dies ist von der Partei so gewollt. Sie können geschnappt werden, wenn Sie wirklich das Gesetz brechen, aber auch einfach, weil Sie bei jemandem in Ungnade gefallen sind.»
Dank des Kontakts zur Familie des Premierministers, gelingt es dem Paar, sich an einem grossen Versicherungskonzern zu beteiligen. Es organisiert den Ausbau des Pekinger Hauptstadtflughafens. Die noch lukrativeren Geschäfte seien den Nachkommen der damaligen Führer der kommunistischen Revolution vorbehalten, sagt Shum.
Er nennt sie leicht spöttisch «rote Aristokratie». «Hier zählt allein die Blutsverwandtschaft. Nicht darum, was sie persönlich erreicht haben. Ihre Privilegien werden von der Partei garantiert. Ja, sie sind die Partei.»
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In seinem Buch berichtet Shum von Intrigen und viel Korruption, von Abendessen, bei denen allein die Suppe umgerechnet 1000 Franken gekostet habe. Unabhängig verifizieren lässt sich das zwar nicht; doch die Stossrichtung des Buchs scheint glaubwürdig.
Bis heute keine Anklage
So kam die Familie des ehemaligen Premierministers Wen Jiabao vor ein paar Jahren zu Negativschlagzeilen, als die «New York Times» über ihr Vermögen berichtete. Darin wurde auch die Beziehung zu Shums Ex-Frau aufgedeckt. Sie wurde vor rund vier Jahren aus ihrem Büro in Peking von den Behörden zum «Verschwinden» gebracht.
Rund ein Drittel der reichsten Chinesen vor fünfzehn Jahren dürfte tot sein – ich spreche nicht nur von natürlichen Todesursachen –, ein Drittel sitzt im Gefängnis und ein Drittel ist bankrott.
Was ihr genau vorgeworfen wird, sei noch immer nicht klar, sagt Shum. Für echte private Unternehmer, die nicht zur roten Aristokratie gehören, sei das Umfeld noch nie besonders freundlich gewesen: «Nehmen Sie eine Liste mit den 100 reichsten Chinesen vor 15 Jahren. Rund ein Drittel davon dürfte tot sein – und ich spreche nicht nur von natürlichen Todesursachen –, ein Drittel sitzt im Gefängnis und ein Drittel ist bankrott.» Mit der Machtübernahme von Xi Jinping vor rund zehn Jahren habe sich dies alles noch verschärft.
Kritik am System, das er einst nutzte
Das «wahre China» wolle er mit dem Buch zeigen, sagt Shum am Ende des Gesprächs. Wie Geschäfte in China wirklich abliefen und wie die kommunistische Partei wirklich funktioniere. Jene, die sonst über China schrieben und in den Medien zu Wort kämen, seien häufig Akademikerinnen, sogenannte China-Experten, die China lediglich von aussen betrachteten – und nicht wie er hinter den Vorhang blicken könnten.
Dennoch wird man das Gefühl nicht los, dass Shum nur deshalb seine Geschichte erzählt, weil die Geschäfte von ihm und seiner Ehefrau am Ende nicht aufgingen. Schliesslich waren auch sie Teil eines korrupten Systems und haben von diesem System, das er nun kritisiert, profitiert.