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Rückkehr aus Syrien Tunesiens Problem mit seinen Dschihadisten

In Tunesien häufen sich Proteste, die verlangen, Dschihadisten nicht mehr ins Land zu lassen. Die Regierung will handeln. Doch ob das gelingt, ist fraglich, sagt Maghreb-Kenner Beat Stauffer.

SRF News: Was meint der tunesische Regierungschef, wenn er sagt, er wolle mit aller Härte gegen zurückkehrende Dschihadisten vorgehen?

Beat Stauffer: Er bekundet damit den Willen seiner Regierung, Dschihadisten an der Grenze festzunehmen und sie in Untersuchungshaft zu nehmen. Das Problem ist, dass die tunesische Regierung zwar eine Liste hat von Personen, die nach Syrien ausgereist sind. Aber sie hat keine Beweise dafür, was diese Leute in Syrien, im Irak oder in Libyen allenfalls für Verbrechen begangen haben. Es wird schwierig werden, diesen Dschihad-Rückkehrern konkrete Delikte vorzuwerfen.

Was aus dem Radar verschwindet, ist, dass die Enachta eine wesentliche Rolle gespielt hat bei der Rekrutierung der Dschihad-Kämpfer.

Wie steht die stärkste Partei im Land, die islamistische Enachta, diesen Plänen gegenüber?

Sie steht ihnen kritisch gegenüber. Der Enachta-Präsident hat dazu aufgerufen, gegenüber Dschihad-Rückkehrern Milde walten zu lassen, vor allem wenn sie ihre Taten bereuen. Er schlägt auch ein aussergerichtliches Verfahren vor, vergleichbar mit dem, das gegenüber Personen angewendet wird, die unter dem Regime von Ben Ali Delikte begangen haben. Was aus dem Radar verschwindet, ist der Umstand, dass die Enachta eine wesentliche Rolle gespielt hat bei der Rekrutierung dieser Dschihad-Kämpfer und auch bei der Organisation der Ausreise nach Syrien und in andere Kampfgebiete. Dieses Thema will Enachta unterm Deckel behalten.

Wenn Tunesien nun ernst machen will und alle Rückkehrer festnehmen, hat das Land denn überhaupt die Infrastruktur dazu?

Beat Stauffer

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Portrait von Beat Stauffer
Legende: Friedel Ammann

Beat Stauffer berichtet als freischaffender Journalist für verschiedene Medien aus Nordafrika. Er ist auch als Buchautor, Kursleiter und Referent tätig.

Nein, Tunesien hat nicht genügend Gefängnisse, um diese Dschihadisten aufzunehmen. Die tunesischen Gefängnisse sind stark überbelegt. Es müssen nun neue Haftanstalten gebaut werden. Dem Vernehmen nach sollen andere Staaten angeboten haben, Tunesien dabei zu helfen. Es sollen Gefängnisse im Süden des Landes gebaut werden, dort wo vor fast sechs Jahren einmal ein grosses Flüchtlingslager für Menschen aus Libyen errichtet worden ist.

Will Tunesien die Hilfe annehmen?

Darüber besteht keine Klarheit. Das ist ein innenpolitisch sehr heikles Thema. Die tunesische Regierung hat sich zu den Angeboten, die auf diplomatischen Kanälen kommuniziert worden sind, nicht geäussert.

Viele Dschihad-Rückkehrer sind bereits wieder im Land. Wie ist zurzeit die Stimmung in Tunesien?

Es ist eine starke Verunsicherung zu spüren. Die Polizeigewerkschaft hat vor den Risiken gewarnt, die von den Dschihadisten, die in den nächsten Wochen und Monaten heimkehren, ausgehen. Das hat vermutlich sehr viele Menschen verunsichert, umso mehr als fast täglich in den Medien Berichte über die Aushebung von Waffenlagern und auch von Schläferzellen in Städten und Randregionen Tunesiens publiziert werden. Dahinter steckt die Angst, dass die fragile Demokratie Tunesiens durch die Dschihadisten indirekt zerstört werden könnte.

Dahinter steckt die Angst, Tunesiens fragile Demokratie könnte durch die Dschihadisten indirekt zerstört werden.

Wieso hat ausgerechnet Tunesien innerhalb von Nordafrika am meisten Extremisten, die für den IS oder andere solche Gruppen kämpfen?

Tausende im Dschihad

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Tunesien ist das Land in Nordafrika, von dem am meisten Männer in Irak, Syrien oder Libyen im sogenannten heiligen Krieg, dem Dschihad, mitkämpfen. Nach Schätzungen einer UNO-Arbeitsgruppe sind zur Zeit mehr als 5000 Tunesier im Dschihad – 800 weitere sind in den letzten Monaten bereits heimgekehrt.

Das ist sehr komplex, aber es gibt vor allem drei Gründe. Der erste ist, dass radikale Islamisten rund zwei Jahre lang freie Hand hatten zu predigen, radikale Inhalte zu verbreiten und Leute ganz konkret anzuwerben. Der zweite ist die Enttäuschung über den Ausgang der Revolution. Vor allem im Hinterland sind junge Menschen ausserordentlich frustriert, dass sie keine Revolutionsdividende erhalten haben, dass es ihnen heute schlechter geht als vor sechs Jahren. Und der dritte Grund, den vor allem Islamisten ins Feld führen, ist die forcierte Säkularisierung unter Ben Ali. Unter ihm konnte kein religiöser Diskurs geführt werden. Die Leute haben sich im Internet den radikalen Strömungen zugewandt und waren leichter ansprechbar für die Rekrutierungsversuche, die 2013 stattgefunden haben.

Hat die Regierung eine Strategie, wie man damit umgehen soll?

Es gibt Beobachter, die der Regierung vorwerfen, dass sie das Terrorismusproblem und die Radikalisierung eines beachtlichen Teils der Jugendlichen lange vernachlässigt hat. Im November ist eine Strategie entwickelt worden. Die Inhalte dieser Strategie sind von der Regierung aber nicht bekanntgegeben worden. Das heisst, die Öffentlichkeit tappt im Dunkeln, was die Eckpunkte dieser neuen Strategie sind, die eine künftige, weitere Radikalisierung verhindern soll.

Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.

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