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Rückt ein 2. Referendum näher? «Für May wird es immer prekärer»

Turbulenzen in Grossbritannien: Zwar steht der Scheidungsvertrag mit der EU. Aber das fast 600 Seiten dicke Vertragswerk sorgt mächtig für Unruhe. Am Vormittag sind unter anderen der britische Brexit-Minister Dominic Raab wie auch Arbeitsministerin Esther McVey aus Protest gegen das geplante Abkommen zurückgetreten. Wie das Unterhaus einen vertragslosen Zustand verhindern will, sei noch völlig offen, sagt Grossbritannien-Korrespondent Martin Alioth.

Martin Alioth

Ehemaliger Grossbritannien- und Irland-Korrespondent, SRF

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Der ehemalige Grossbritannien- und Irland-Korrespondent von Radio SRF lebt seit 1984 in Irland. Er hat in Basel und Salzburg Geschichte und Wirtschaft studiert.

SRF News: Warum tritt Brexit-Minister Raab zurück?

Martin Alioth: Raab betrachtet den Vertrag, für dessen Entstehung er politisch verantwortlich war, als Gefahr für den Zusammenhalt des Vereinigten Königreichs. Es ist eine Anspielung auf die Extrawürste für Nordirland. Auch befürchtet er, dass mit dieser Übergangslösung für das gesamte Vereinigte Königreich das Land auf immer und ewig an die Zollunion der EU gekettet sein werde. Das ist starker Tobak. Raab ist nun bereits der zweite Brexit-Minister, der dann den Hut nimmt, wenn es konkret wird.

Auch die Arbeitsministerin tritt zurück. Was bedeutet das für Premierministerin Theresa May?

Es wird immer prekärer für May. Denn zusätzlich sind heute Morgen auch noch drei subalterne Minister zurückgetreten. Die Zahl jener, die gegen dieses Scheidungsabkommen stimmen werden, schwillt also stündlich an.

Seit der Mittagszeit stellt sich May den Fragen des Unterhauses. Wie geht es da zu und her?

Laut und sehr nervös und aufgeregt. Ich habe bisher noch keines einziges gutes Wort zugunsten des Scheidungsvertrags gehört, weder von Labour, Konservativen noch von den schottischen Nationalisten. Es zeichnet sich also im Unterhaus eine zunehmende Front ab, die das Abkommen sabotieren will.

Seit heute früh gibt es Gerüchte über ein kommendes Misstrauensvotum gegen May. Von welcher Seite?

Von ihren eigenen Leuten. Die Gesuche für ein Misstrauensvotum sollen sich häufen. Bestätigt ist das nicht. Das Verfahren besagt, dass 15 Prozent der konservativen Fraktion mit derzeit 48 Abgeordneten einen solchen Brief schreiben müssen, damit es ein Misstrauensvotum innerhalb der Fraktion gibt.

Das gemäss Verfassung souveräne Unterhaus wird einen vertragslosen Zustand ab Ende März nächsten Jahres mit allen Mitteln verhindern.

Um aber May stürzen zu können, braucht es 158 oder mehr Stimmen. So viele Stimmen werden nicht zusammenkommen. Der Anführer der rabiaten Brexit-Anhänger, Jacob Rees-Mogg, fragte, ob er nun angesichts der Wortbrüchigkeit der Premierministerin nicht auch einen solchen Brief schreiben sollte.

Wird das Abkommen also Makulatur, bevor es die nächste Hürde genommen hat?

Das ist anzunehmen. Ich kann die Arithmetik im Unterhaus nicht erkennen. May führt ja bereits de facto eine Minderheitsregierung an, seit die nordirischen Unionisten aus ihrer Regierungsmehrheit abgesprungen sind. Es bröckelt immer weiter.

Wie wird es dann weitergehen?

Ich gehe davon aus, dass das gemäss Verfassung souveräne Unterhaus einen vertragslosen Zustand ab Ende März nächsten Jahres mit allen Mitteln verhindern wird. Mit welchen Mitteln, wissen wir noch nicht. Es könnte eine Verlängerung der Artikel-50-Verhandlungsperiode sein. Oder eine Neuwahl, die meines Erachtens nichts lösen würde. Oder ein zweites Referendum, um den ganzen Spuk rückgängig zu machen.

Das Gespräch führte Brigitte Kramer.

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