Er kam, sah und scheiterte. Martin Schulz und das Gerangel um seinen Verzicht auf das Aussenminister-Amt schwächen die deutsche SPD. Ganz alleine seine Schuld war die Misere aber nicht, sagt SRF-Korrespondent Peter Voegeli.
SRF News: Hat Martin Schulz seine Partei unterschätzt?
Peter Voegeli: Das hat er. Aber auch die Parteiführung neben Schulz hat die Reaktion unterschätzt. Nach Schulz’ Ankündigung, Aussenminister werden zu wollen, ging ein Email-Shitstorm in der SPD-Parteizentrale ein. Die ganze Führung der SPD hat Schulz gedrängt, auf das Amt zu verzichten – insbesondere der wichtige Landesverband aus Nordrhein-Westfalen. Man hatte Angst, dass Schulz’ Egotrip und sein Motto «Schulz first» die Grosse Koalition gefährden könnte.
Nach Schulz’ Ankündigung, Aussenminister werden zu wollen, ging ein Email-Shitstorm in der SPD-Parteizentrale ein.
Der bisherige Aussenminister Sigmar Gabriel hat sich laut darüber beklagt, dass er abserviert werden soll. Hat das eine Rolle gespielt?
Das könnte sein. Wenige Stunden nachdem sich Gabriel beklagt hat, ist Schulz zurückgetreten. Man kann sich aber fragen, ob es ihm etwas nützt. Gabriel ist in der Partei nicht beliebt, er hat Schulz zudem unter der Gürtellinie angegriffen: Er hat seine Tochter quasi als Waffe benutzt und mitgeteilt, sie habe ihm gesagt, er solle nicht traurig sein. Jetzt habe er mehr Zeit für seine Familie und müsse nicht mehr so viel Zeit mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht – also Schulz – verbringen. Das kam nicht gut an, glaube ich. Es könnte sein, dass auch Gabriel das Spiel verloren hat.
Martin Schulz sagt, er wolle den Entscheid nicht gefährden, den die Parteibasis zur grossen Koalition fällen muss. Darum verzichte er. Ist die Grosse Koalition damit in trockenen Tüchern?
Auf jeden Fall mehr als gestern. Die SPD gibt derzeit ein desolates Bild ab. Sie liegt in den Umfragen bei 18 bis 20 Prozent, die AfD bei 12 bis 15 Prozent. Das SPD-Schiff droht zu kentern, wenn es ein Nein zur Grossen Koalition gibt. Das ist auch der übrigen SPD-Führung klar, die weiss, dass auch sie zur Disposition steht, wenn die Koalition abgelehnt wird. Schulz hat keinen politischen Instinkt bewiesen. Es ist aber nicht nur seine Schuld, sondern auch die der gesamten SPD-Führung. Sie hat Schulz aus dem Hut gezaubert und ihn im Wahlkampf fast ein bisschen als Puppe benutzt. Damit trägt sie Mitverantwortung.
Das SPD-Schiff droht zu kentern, wenn es ein Nein zur Grossen Koalition gibt.
Wie findet die SPD wieder aus dieser Misere heraus?
Sie muss hoffen, dass Gras über die Sache wächst, es rasch zu einer neuen Regierung kommt und Deutschland zur Normalität zurückkehrt. Zudem muss sie Leute wie den Juso-Chef Kevin Kühnert einbinden. Es braucht neue Köpfe, das fordert die Basis. Man muss auch feststellen: So rebellisch sich Kühnert gibt, er schlägt nie völlig über die Stränge. Er greift die SPD-Führung nicht so radikal an, dass die SPD untergehen könnte und verbrannte Erde zurückbleibt. Kühnert weiss also, was er macht, und es könnte gut sein, dass er früher oder später eingebunden wird.
Und Martin Schulz?
Diese Frage wurde heute der Fraktionschefin und designierten Parteivorsitzenden Andrea Nahles gestellt. Sie sagte: «Herr Schulz muss das jetzt erst mal verdauen.» Ich glaube, diese Antwort zeigt sehr viel über die Befindlichkeit der SPD. Vorläufig gibt es für Schulz nichts. Es gehen aber Gerüchte um, dass er nach der Europawahl 2019 zum EU-Kommissar werden könnte. Das ist allerdings noch Kaffeesatz eines Kaffees, der noch nicht einmal gekocht wurde.
Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.