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Russland-Wahl in der Ukraine Ein eklatanter Verstoss gegen internationales Recht

«Hier ist die Wahlkommission, möchten Sie Ihre Stimme abgeben?» Das fragt eine gepflegte Dame den Mann, der ihr die Wohnungstüre geöffnet hat. Eine ganz normale Situation, könnte man meinen. Wäre da nicht der schwer bewaffnete, vermummte Mann in Tarnuniform, der drohend neben der Dame steht. Das kurze Video wurde vom Berater des exilierten Bürgermeisters der südukrainischen Stadt Mariupol ins Netz gestellt, mit der Bemerkung: Die russische Variante von freien Wahlen sieht so aus. Andere Quellen bestätigen, dass die russischen Besatzer so vorgehen.

Die Ukraine wählen zu lassen, ist ein internationaler Rechtsbruch

Dies tun sie nicht nur im Gebiet Donezk und Luhansk, sondern auch in der Region Cherson und Saporischja. Überall dort wurden diese Woche sogar schon vorzeitige «Wahlen» abgehalten – ohne Rücksicht darauf, dass Kriegsrecht herrscht, dass gekämpft wird, und dass diese Gebiete zur Ukraine gehören.

Dazu kommt: Seit der russischen Invasion 2022 ist geschätzt die Hälfte der Bevölkerung der besetzten Gebiete geflohen, viele andere sind tot oder wurden verschleppt. Ausserdem werden systematisch Russen und Russinnen angesiedelt. In der besetzten Stadt Mariupol beispielsweise leben nach Schätzungen inzwischen mehr Russen und Russinnen als Einheimische, darunter sind viele Militärs. Wählen lassen unter diesen Umständen, so ist man sich im Ausland einig, ist ein eklatanter Verstoss gegen internationales Recht.

Wenn der Wolf zum Schaf wird

Russland jedoch verfolgt mit dieser Inszenierung gleich mehrere Ziele: Es will die Besatzung legitimieren und gleichzeitig die verbliebenen Ukrainer und Ukrainerinnen einschüchtern – und deren Loyalität zu Russland testen. Die angeblichen Resultate sollen als weiterer Beweis dafür dienen, dass die Einwohner der besetzten Gebiete Teil Russlands sein möchten.

Die russische Propaganda führt diese angebliche Willensbekundung der Bevölkerung zudem als Beweis dafür an, dass Russland – im Gegensatz zur Ukraine – eine echte Demokratie sei. Denn der Krieg hat dazu geführt, dass die Ukraine ihre ebenfalls für diesen Frühling geplanten Präsidentenwahlen absagen musste: zu viele Menschen sind im Ausland, zu unsicher ist die Lage vielerorts, und in den besetzten Gebieten sind keine ukrainischen Wahlen möglich. Anlass für die russische Propaganda, zu behaupten, die Ukraine sei, ganz im Gegenteil zu Russland, eine Diktatur.

Das ist eine zynische und absurde Erzählung, die aber wohl nicht nur bei manchen in Russland, sondern auch im Ausland verfängt. Ein Narrativ überdies, das die Unterstützung der Ukraine untergraben soll. Aus der Sicht des Kremls lohnt sich diese Wahlfarce deshalb gleich mehrfach.

Judith Huber

Auslandredaktorin

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Auslandredaktorin Judith Huber war jahrelang Produzentin der Sendung «Echo der Zeit» von Schweizer Radio SRF. Sie ist spezialisiert auf die Länder der ehemaligen Sowjetunion und ist Sonderkorrespondentin für die Ukraine.

SRF 4 News, 15.03.2024, 10:30 Uhr;kobt

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