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Russlands Nachschubprobleme «Russland ist in der Ukraine immobilisiert»

Russland bombardiert derzeit die Ukraine aus der Luft so heftig wie seit Monaten nicht mehr und gleichzeitig führt es Kämpfe im Osten des Landes. Andererseits ist Russland aber auch am Krieg in Syrien beteiligt sowie an Konflikten in Afrika. Dafür braucht es Waffen und Munition. Wie stark Russland zurzeit ist und wie es mit dem Nachschub läuft, analysiert ETH-Militärexperte Niklas Masuhr.

Niklas Masuhr

Sicherheitsanalyst

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Niklas Masuhr war Sicherheitsforscher am Center for Security Studies der ETH Zürich. Dort fokussierte er sich auf zeitgenössische Konflikte, Verteidigungspolitik und militärische Strategien. Zuvor war Masuhr an der Universität Kiel am Institut für Sicherheitspolitik angestellt.

SRF News: Wie steht es um Russlands militärische Stärke?

Niklas Masuhr: In vielerlei Hinsicht kann Russland wie jeder Staat, der einen konventionellen Krieg führen will, nur davon ausgehen, dass man nur zur Verfügung hat, was man zu Beginn des Krieges hat. Auf Russland trifft das insbesondere dort zu, wo höhere Technologie verbaut ist, also beispielsweise bei Mikrochips und bei anderer Elektronik. Das sind Dinge, die Russland nicht ersetzen kann, während dieser Krieg läuft.

Ein Haufen Metallschrott, der im Boden steckt
Legende: Die Überreste einer iranischen Drohne in Kiew. REUTERS/Vladyslav Musiienko

Wieso kann das Land keinen Nachschub mehr besorgen?

Das russische Problem ist, dass es in vielerlei Hinsicht von Importen von Schlüsseltechnologien aus dem Westen abhängig ist. Dadurch, dass die Technologien nicht mehr geliefert werden, kann Russland die Waffensysteme, die diese Subkomponenten erfordern, nicht nachbauen oder reparieren.

An gewissen Punkten sieht es so aus, als ob Russland darauf warte, dass die Ukrainer Gegenoffensiven führen.

Wie viel Material hat Russland im Ukrainekrieg bisher verbraucht, was ist aus Ihrer Sicht realistisch?

Genau quantifizieren kann ich das auch nicht. Was wir aber qualitativ wissen, ist, dass Russland schon lange nicht mehr in der Lage ist, den Krieg so zu führen, wie es wollte. Man hat im Frühjahr und im Frühsommer deutlich gesehen, dass der Gebrauch von Präzisionswaffen zurückgegangen ist, weil russische Reserven zur Neige gingen.

Grundsätzlich ist aber das Problem nicht nur, dass auf der Seite der Ausrüstung einiges verloren gegangen ist, sondern, dass es auch Verluste beim Personal gab, inklusive bei erfahrenen Truppen. Aus diesen Gründen ist Russland jetzt in der Ukraine immobilisiert. Man ist nicht in der Lage, Offensiven zu führen und an gewissen Punkten sieht es so aus, als ob Russland darauf warte, dass die Ukrainer Gegenoffensiven führen.

Ein neu mobilisierter Soldat macht eine Pause während einer Übung.
Legende: Ein neu mobilisierter russischer Soldat macht eine Pause während einer Übung. REUTERS/Alexander Ermochenko     

Sie haben Präzisionswaffen erwähnt. Welche Art von Waffen fällt denn unter diesen Begriff?

Mit Blick auf Russland sind das vor allem land-, see- und luftgestützte Marschflugkörper. Es sind aber auch ballistische Raketen und zum Teil wurden auch ältere ballistische Raketen eingesetzt. Die sind in der Lage, auf weite Distanzen Ziele sehr präzise zu treffen.

Auf russischer Seite ist man jetzt bemüht, die Gebiete, in denen man noch Truppen stehen hat, abzusichern.

Was Russland auch in den letzten Wochen vermehrt eingesetzt hat, sind iranische Loitering-Drohnen oder Loitering-Waffen (Loitering-Drohnen oder Waffen sind Flugkörper, die ohne bestimmtes Ziel starten und dann über einem Ziel kreisen. Ihnen wird später vom Boden ein Ziel zugewiesen. Anm. d. Red.).

Russland hat demnach tatsächlich Probleme mit dem Nachschub. Was heisst das für den weiteren Verlauf des Krieges?

Russland hat seit Einnahme von Donezk im Sommer die Initiative auf der konventionellen Seite komplett verloren. Man ist nicht in der Lage, weder auf der Personalseite noch auf der Ausrüstungsseite, genug Kampfkraft zu generieren, um die Initiative wieder an sich zu reissen und offensiv auf grösserer Ebene tätig zu werden. Das heisst, auf russischer Seite ist man jetzt bemüht, die Gebiete, in denen man noch Truppen stehen hat, abzusichern. Gleichzeitig scheinen die Schläge auf ukrainische zivile Ziele jetzt auch bis zu einem gewissen Grad eine Art Verzweiflungsakt zu sein.

Das Gespräch führte Sandra Witmer.

SRF 4 News, 19.10.2022, 6:40 Uhr ; 

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