Zum Inhalt springen

Sabotage an Gas-Pipelines Nord-Stream-Ermittlungen: Was bisher bekannt ist – und was nicht

Im September wurden die Nord-Stream-Pipelines zerstört. Nun führen Spuren in die Ukraine.

Worum geht es? In der Nacht auf den 26. September haben dänische und schwedische Behörden Lecks bei den russischen Pipelines Nord Stream 1 und 2 entdeckt. Dadurch entwich eine grosse Menge Methangas ins Meer. Auch weil die Röhren teilweise bis auf einer Länge von 250 Metern zerstört wurden, geht man davon aus, dass diese Röhren mutwillig zerstört worden sind. Die Pipelines sind seither unbenutzbar.

Was ist neu? Nach einer gross angelegten Recherche von ARD, SWR und «Die Zeit» konnten die deutschen Ermittlungsbehörden einen Durchbruch bei der Aufklärung des Anschlags erringen. So konnte weitgehend rekonstruiert werden, wie und wann der Sprengstoffanschlag vorbereitet wurde. Den Ermittlern ist es gelungen, das Boot zu identifizieren, das mutmasslich für diese Operation verwendet wurde.

Das Boot wurde von einer polnischen Firma gemietet, welches wiederum offenbar zwei Ukrainern gehört. Ausserdem sollen fünf Männer und eine Frau die Operation durchgeführt haben. Die Nationalität der Täterschaft ist nicht bekannt, es wurden gefälschte Pässe verwendet.

So soll die Operation von statten gegangen sein

Box aufklappen Box zuklappen

Den Ermittlungen zufolge sollen die sechs Personen am 6. September 2022 von Rostock aus in See gestochen sein. Die Ausrüstung sei vorher mit einem Lieferwagen in den Hafen transportiert worden, heisst es.

Laut den Recherchen ist es den Ermittlern gelungen, das Boot am folgenden Tag in Wieck und später an der dänischen Insel Christiansø zu lokalisieren. Die Jacht sei dem Eigentümer im Anschluss ungereinigt zurückgegeben worden.

Die Bundesanwaltschaft hat im Januar ein verdächtiges Boot durchsuchen lassen. Es bestehe der Verdacht, dass es zum Transport von Sprengsätzen verwendet worden sein könnte, teilt die Karlsruher Behörde mit. Belastbare Aussagen zu Täterschaft, Motiven und einer staatlichen Steuerung könnten derzeit nicht getroffen werden.

Wer steckt dahinter? Spuren führen in die Ukraine. Da der Sabotageakt eine aufwendige Aktion war, die viel Erfahrung und Detailkenntnisse benötigt, gehen Experten nicht von Laien aus. Nur staatliche Akteure kämen als Urheber infrage. Nach Informationen des Rechercheteams soll bereits kurz nach der Sabotage ein westlicher Geheimdienst einen Hinweis an europäische Partnerdienste übermittelt haben, wonach ein ukrainisches Kommando für die Zerstörung verantwortlich sei. Auch später soll es weitere geheime Hinweise gegeben haben, wonach eine pro-ukrainische Gruppe für die Lecks verantwortlich sein könnte.

Einschätzungen von SRF-Korrespondent David Nauer

Box aufklappen Box zuklappen

David Nauer, ehemaliger SRF-Russland-Korrespondent, sagt zu den neusten Erkenntnissen: «Im Detail kann ich die Rechercheergebnisse nicht einschätzen, weil ich die Einzelheiten nicht kenne.» Was aber sicher stimme, sei, dass die beteiligten Medienhäuser sehr sorgfältig recherchieren. «Deshalb sind die Berichte durchaus ernst zu nehmen.»

Nauer betont aber auch, dass man sehr viel noch nicht wisse. So sei theoretisch auch denkbar, dass jemand absichtlich eine falsche Fährte gelegt hat, um in Richtung Ukraine zu zeigen. Und: «Über die Verstrickung der ukrainischen Regierung wissen wir schlicht nichts.»

Nauer ist zwar bewusst, dass Kiew grundsätzlich ein Interesse daran hat, dass es die beiden Nord-Stream-Pipelines nicht mehr gibt. Doch er gibt zu bedenken: «Diese Pipelines wurden gebaut, um russisches Gas nach Deutschland zu bringen. Es wäre unglaublich dumm von der ukrainischen Regierung, die Leitungen hinter dem Rücken Deutschlands, der wichtigsten europäischen Nation, in die Luft zu sprengen.»

Diese Angaben sind aber mit Vorsicht zu geniessen: Denn auch wenn Spuren in die Ukraine führen, wissen die Ermittler aktuell noch nicht, wer die mutmasslichen Täter beauftragt hat. Ausserdem schliessen Sicherheitskreise auch nicht aus, dass es sich um eine sogenannte False-Flag-Operation handeln könnte. Dabei werden bewusst Spuren gelegt, die auf einen Verursacher – in diesem Fall die Ukraine – deuten sollen. Die Ermittler haben allerdings keine Hinweise auf ein solches Szenario.

Was sagt die Ukraine dazu? Mikhailo Podoliak, ein hochrangiger Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski, hat mitgeteilt, Kiew sei «absolut nicht» in die letztjährigen Angriffe auf die Nord-Stream-Pipelines verwickelt. Man verfüge über keine Informationen zu den Vorgängen. In einer Stellungnahme an das Recherchekollektiv sagte Podoliak zudem, es gebe «keine Bestätigung dafür, dass ukrainische Beamte oder das Militär an dieser Operation teilgenommen haben oder Personen entsandt wurden, die in ihrem Namen handeln». Vielmehr sei denkbar, dass Russland dahinterstecke.

Was sagt der Westen? Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius sagte im Deutschlandfunk, man nehme die Rechercheergebnisse mit grossem Interesse zur Kenntnis. «Aber wir müssen jetzt mal abwarten, was sich davon wirklich bestätigt. Jetzt hypothetisch zu kommentieren, halte ich für nicht zielführend. Das muss geklärt werden.»

Nord Stream und die Schweiz

Box aufklappen Box zuklappen
Der Sitz von Nord Stream in Zug.
Legende: Der Sitz von Nord Stream in Zug. KEYSTONE/Urs Flueeler

Die beiden Erdgas-Pipelines von Nord Stream sind 2011 in Betrieb gegangen. Durch die zwei zusätzlichen Röhren mit Namen Nord Stream 2 ist hingegen nie Gas bis nach Deutschland gelangt. Das Land hatte aufgrund des sich verschärfenden Konflikts vor Kriegsbeginn keine Lizenz erteilt.

Nord Stream 1 und Nord Stream 2 werden aus jeweils eigenständigen Firmen betrieben, die ihren Sitz in der Schweiz haben. Man entschied sich für den steuergünstigen Standort Zug. Die offizielle Begründung lautet: Die Unternehmen sollten in keinem der beteiligten Länder sitzen.

Nord Stream ist zu 51 Prozent im Besitz des russischen Energieunternehmens Gazprom. Weitere Aktionäre sind die deutschen, französischen und niederländischen Energieversorger E.on, Wintershall, Gasunie und Engie.

Nord Stream 2 ist vollständig im Besitz von Gazprom. Jenes hat im März 2022 aufgrund der fehlenden Inbetriebnahme dem Grossteil seiner Angestellten gekündigt. Es befindet sich in Nachlassstundung. Verwaltungsratspräsident von Nord Stream 2 ist der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder, der die Erstellung der Pipelines gemeinsam mit Wladimir Putin einst entschieden vorangetrieben hatte.

Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sieht nach wie vor Klärungsbedarf in der Frage, wer für die Sprengung der Nord-Stream-Gaspipelines in der Ostsee verantwortlich ist. «Was wir wissen, ist, dass es einen Angriff auf die Nord-Stream-Pipelines gab. Aber wir haben nicht feststellen können, wer dahintersteckt.» Ermittlungen liefen noch. «Und ich denke, es ist richtig zu warten, bis diese abgeschlossen sind, bevor wir mehr darüber sagen, wer dahintersteckt.»

SRF 4 News, 08.03.2023, 9 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel