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Schwedens Nato-Beitritt Erdogan hat für seine Zustimmung viel bekommen

Ankara macht den Weg frei für Schwedens Beitritt zum westlichen Militärbündnis. Was hat die Türkei davon? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Warum harzte es mit Schwedens Nato-Beitritt? Gut ein Jahr lang blockierte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan das Vorhaben. Mal stellte er sich mit Furor gegen die Erweiterung des westlichen Militärbündnisses, weil Schweden nicht genug gegen «Terrororganisationen» im eigenen Land unternehme. Dann wieder liess er das Fenster für Schwedens Nato-Beitritt einen Spalt weit offen. Um schliesslich mit einem Nein im Gepäck zum Nato-Gipfel in Vilnius anzureisen.

Nur einstimmig zum Nato-Beitritt

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Die Einladung zu einem Beitritt müssen die Staats- und Regierungschefs der derzeit 31 Mitgliedsländer der Nato einstimmig beschliessen. Dies gibt einzelnen Ländern eine Art Vetorecht, wie es sich im Fall von Schweden nun die Türkei zunutze gemacht hat.

Als bisher letztes Land wurde vergangenen April Finnland einstimmig in die Nato aufgenommen.

Am Montagabend die überraschende Kehrtwende: Der türkische Präsident gab grünes Licht für das letzte Puzzleteil der Nato-Norderweiterung.

Karelia Brigade der finnischen Armee.
Legende: Finnland ist seit April offiziell Nato-Mitglied – bei Schweden wird es länger dauern. Die Türkei blockierte den Beitritt mit dem Argument, Schweden lasse die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK gewähren. Bild: Karelia Brigade der finnischen Armee. Reuters/Lehtikuva

Welche Rolle spielte das Thema EU? Zuerst hatte der türkische Präsident seine Zustimmung noch davon abhängig machen wollen, dass die Beitrittsverhandlungen mit der EU wieder aufgenommen werden. Mit dieser Forderung ging er aber offensichtlich zu weit. Die EU hatte bereits 2005 mit der Türkei Beitrittsgespräche begonnen. Diese wurden allerdings vor einigen Jahren wieder auf Eis gelegt, weil Brüssel inakzeptable Entwicklungen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit sah.

Scholz und Erdogan im März 2022 in Ankara
Legende: Olaf Scholz zeigte sich irritiert darüber, dass Erdogan Schwedens Nato-Beitritt mit einer EU-Perspektive für die Türkei verknüpfte. Der deutsche Kanzler betonte, dass die beiden Themen nicht miteinander zusammenhingen. Keystone/AP/Burhan Ozbilici

Warum lenkte Erdogan ein? Ende Mai wurde Erdogan als Präsident bestätigt. Im Wahlkampf sei der Nato-Streit um Schweden für Erdogan wie ein «Geschenk auf dem Silbertablett» gewesen, sagt SRF-Auslandredaktor Philipp Scholkmann. «Der Streit illustriert fast idealtypisch Erdogans wichtigste Botschaft an seine Wählerbasis: Er ist der Garant für eine starke und unabhängige Türkei, die sich nicht herumkommandieren lässt – schon gar nicht vom Westen.» Nun ist das Wahlkampfgetöse vorbei, die Zeit für einen aussenpolitischen Neustart reif. «Und Erdogan hat gesehen, dass er in diesem Nato-Poker das Maximum herausgeholt hat.»

Der türkische Präsident Erdogan in Vilnius
Legende: Der anhaltende Zwist mit der Nato und Schweden brachte Erdogan in eine starke Verhandlungsposition – auch mit Blick über den Atlantik. Keystone/EPA/Filip Singer

Welche Gegenleistung bekommt die Türkei? Erdogan hat für seine Zustimmung viel bekommen. So hat die schwedische Regierung zugesichert, härter gegen kurdische Untergrundorganisationen im Land vorzugehen. In Sachen EU sagte Stockholm immerhin zu, sich für eine europäische Perspektive für die Türkei zu engagieren. «Am Schluss war Schweden aber nur noch ein Nebenschauplatz für Erdogan», schätzt Scholkmann. «Sein Blick ging nach Washington. Denn dort klemmte ein Waffengeschäft, das ihm sehr wichtig ist: die Modernisierung der F16-Flieger für die Türkei.» Ebendiese Blockade scheint nun gebrochen.  

Welchen Stellenwert hat der Nato-Beitritt für Schweden? Einen Plan B gab es für Schweden nicht. «Ohne den Nato-Beitritt wäre ein weisser Fleck im Norden und an der Ostsee entstanden», erklärt SRF-Nordeuropa-Korrespondent Bruno Kaufmann. In eine Art Sicherheitsvakuum zu treten, war keine Option. Zudem hat Schweden schon seit Jahrzehnten eine Verteidigungsallianz mit seinen nordischen Nachbarn angestrebt. Als Konsequenz des russischen Angriffskriegs in der Ukraine werden sie nun geschlossen Teil der Nato. «In Nordeuropa beginnt eine neue Zeitrechnung», schliesst Kaufmann.

Rendez-vous, 11.07.2023, 12:30 Uhr ; 

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