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Schweizer Manager angeklagt Öl bohren im Bürgerkriegsgebiet – der Fall Lundin

Wie weit dürfen Rohstoffkonzerne bei Geschäften in Krisen- und Konfliktgebieten gehen? Mit dieser Frage setzt sich ein aufsehenerregender Prozess in Schweden auseinander. Dort stehen zwei ehemalige Schweizer Ölmanager vor Gericht.

Es ist ein aussergewöhnlicher Prozess, der seit September 2023 in Stockholm am erstinstanzlichen Gericht durchgeführt wird. Im Fall einer Verurteilung drohen zwei Schweizer Geschäftsleuten lebenslange Haftstrafen.

Zwei Männer in Anzügen unter einem rot gemusterten Zelt.
Legende: Alex Schneiter und Ian Lundin stehen in Stockholm unter Anklage. NN/Ermittlungsakte

Der Schweizer Alex Schneiter und der schwedisch-schweizerische Doppelbürger Ian Lundin sind angeklagt, zwischen 1999 und 2003 im Bürgerkriegsland Sudan mit dem Regime von Omar al-Bashir kooperiert zu haben. Dabei hätten sie in Kauf genommen, dass Regierungstruppen und verbündete Milizen Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung begehen.

Armee als Schutztruppe?

Das islamistische Regime hatte 1997 der Firma Lundin Oil eine Konzession für die Ölsuche im südlichen Teil des damaligen Sudans erteilt. Das Konzessionsgebiet befand sich nicht unter Kontrolle der Regierung. Gemäss den Ermittlungsakten forderte Firmenchef Ian Lundin die Regierung aber auf, Soldaten als Schutztruppe für die Öloperationen zu entsenden. Als Lundin Oil 1999 bei der ersten Probebohrung gleich auf Öl stiess, rückten die Regierungstruppen an. Kurz darauf war das Ölgebiet Schauplatz blutiger Kämpfe zwischen Armee und Rebellen.

Umkämpftes Ölgebiet

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Dass es im Ölkonzessionsgebiet von Lundin im Sudan Verbrechen an der Zivilbevölkerung gab, ist unbestritten. Tausende Menschen wurden getötet, verletzt, oder vergewaltigt, Zehntausende vertrieben, ihre Häuser zerstört. Die sudanesischen Soldaten und Milizen, die diese Verbrechen an Zivilisten begangen haben, sind nie von einem Gericht für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen worden. Der Prozess setzt sich somit auch mit den Fragen von Mitschuld auseinander und der Frage, wie weit Rohstoffkonzerne bei Geschäften in Krisen- und Konfliktgebieten gehen dürfen.

Die Ölfirma Lundin war in Stockholm domiziliert und hatte ab Ende der 90er-Jahre ihren operativen Sitz in Genf. Ian Lundin führte das Unternehmen, Alex Schneiter war in leitender Stellung für die Ölexploration im Sudan zuständig.

Was wussten die Ölmanager?

Die Anklage wirft den beiden Managern vor, sie hätten von der Regierung wiederholt Militäraktionen gefordert, damit die Firma im Konzessionsgebiet ungestört operieren könne. Dabei hätten die beiden Ölmanager gewusst, dass dies Angriffe auf Zivilisten bedeute. «Alex Schneiter war dafür zuständig, wo die seismischen Untersuchungen durchgeführt werden sollen. Die Pläne dafür hat er der sudanesischen Regierung vorgelegt», sagt der schwedische Staatsanwalt Henrik Attorps gegenüber der SRF-«Rundschau».

Alex Schneiters Verteidiger Per Samuelsson weist im Interview mit der «Rundschau» die Vorwürfe zurück: «Wir hatten nie Einfluss auf die militärischen Operationen des Sudans. Eine kleine Ölfirma aus Schweden konnte doch nicht eine Armee im Bürgerkrieg kontrollieren. Wir hatten keinen Einblick und keinen Einfluss auf die Kämpfe.» Ian Lundin sagte bei der Prozesseröffnung in Stockholm: «Die Anschuldigungen gegen uns sind falsch. Unsere Firma arbeitete nach den höchsten ethischen Standards.»

2003 hatte die Firma Lundin ihren Anteil am Sudan-Geschäft mit über 100 Millionen Dollar Gewinn an die Firma Petronas aus Malaysia weiterverkauft. Die schwedische Staatsanwaltschaft begann 2010 mit ihren Ermittlungen. Ein Teil des Beweismaterials ist durch die Rechtshilfe des Schweizer Bundesamts für Polizei Fedpol sichergestellt worden, das die Genfer Büros der Firma durchsucht hat.

Urteil 2026

Die Stockholmer Richter haben seit dem Sommer über 30 Zeugen aus Sudan und Südsudan angehört. Ab dem 10. Dezember folgt nun die Befragung der Angeklagten: zuerst Ian Lundin und dann zwischen dem 14. und 23. Januar 2025 Alex Schneiter. Für 2025 ist weiter die Anhörung von 56 Sachverständigen und von Zeugen der Verteidigung vorgesehen. Die Schlussplädoyers sind für Januar und Februar 2026 geplant.

Ehemaliger Kindersoldat sagt aus

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Einer der Zeugen, die im letzten halben Jahr vor Gericht aussagten, ist der ehemalige Kindersoldat Gatkuoth Lia Diu. Er war zwölf Jahre alt, als er 2001 – mit einer Kalaschnikow um die Schultern – Ian Lundin begegnete, der auf der Strasse zum Ölbohrturm seiner Firma einen Zwischenhalt einlegte. Ein schwedischer Journalist hatte das Zusammentreffen dokumentiert.

Gatkuoth erzählte dem Richter, er hätte zu einer regierungstreuen Miliz gehört, die damals Lundins Ölinstallationen bewacht habe. Er sei zur Miliz gekommen, nachdem seine Mutter und drei Geschwister bei einem Kampfhelikopterangriff starben. Dem Richter erzählte er, der Angriff sei erfolgt, weil sich die Dorfbewohner gegen den Bau einer Strasse durch ihr Land zum Ölgebiet gewehrt hätten.

Gatkuoth erwähnte weiter, er sei in den vergangenen Jahren mehrmals von Agenten der Firma Lundin kontaktiert worden. Sie hätten ihn und Familienangehörige bedroht und versucht, ihn mit Geld von einer Aussage am Prozess abzuhalten. Die schwedische Polizei hat seither gegenüber schwedischen Medien bestätigt, dass sie zuvor bereits eingestellte Ermittlungen wegen Zeugenbeeinflussung gegen Lundin und Schneiter wieder aufgenommen habe.

Die Verteidigung der beiden Manager unterzog Gatkuoth einem Kreuzverhör und bestreitet seine Aussagen.

SRF Rundschau, 4.12.2024, 20:10 Uhr;stal

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