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Schwelender Streit in Italien Die Tirolfrage sorgt für Diskussionen im Land

Die neue Bürgermeisterin von Meran streift die traditionelle Schärpe in den Landesfarben ab. Der Aufschrei ist gross.

Der neuen Bürgermeisterin von Meran, Katharina Zeller, war es sichtlich unwohl, als ihr Vorgänger im Amt ihr die grün-weiss-rote Schärpe in den italienischen Landesfarben über die Schulter hängen wollte. «Muss das wirklich sein?», fragte Zeller. Und als die Schärpe über ihrer Brust hing, streifte sie sie sofort wieder ab und legte sie vor sich auf einen Tisch.

Diese Geste wurde mit Handys gefilmt und sogleich auf allen Kanälen verbreitet – auch in den italienischen Zeitungen. Die der Südtiroler Volkspartei angehörende Zeller habe die italienische Fahne geschändet, heisst es dort jetzt etwa.

Reicht Respekt – oder muss es Stolz sein?

Andere sagen, in Meran lebten etwa gleich viele Leute deutscher wie italienischer Muttersprache, und die Geste der Bürgermeisterin beleidige all jene, die Italienisch sprechen. Als die Meraner Bürgermeisterin sah, was sie da ausgelöst hatte, liess sie umgehend verlauten, sie werde die italienischen Farben in Zukunft mit Respekt behandeln.

Allerdings spannen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in anderen Regionen Italiens das Trikolore-Band nicht nur mit Respekt – sondern vor allem mit Stolz über ihre Brust.

Historisch belastete Vergangenheit

Es ist ein kleiner Vorfall mit grosser Vorgeschichte: Südtirol wurde am Ende des Ersten Weltkriegs von Österreich-Ungarn abgetrennt und Italien angegliedert. In der Region leben seit jeher deutsch, italienisch und ladinisch sprechende Menschen – dabei sind die Deutschsprachigen klar in der Mehrheit. Sie werden immer wieder von der Frage geschüttelt: Wer sind wir, wohin gehören wir?

Unter Diktator Mussolini litten die Deutschsprachigen schwer. In der Nachkriegszeit dann erstritt sich Südtirol weitgehende Autonomierechte. Und heute sagen manche Südtiroler, wenn sie nach Mailand oder Rom reisen, sie reisten nach Italien. Als wären sie nicht Teil davon.

Botschafter als Brückenbauer

Unter dem Strich hat sich Südtirol im italienischen Staat gut eingerichtet. Auch dank der Autonomie, die viel Steuergeld in der Provinz belässt. Doch Widersprüche und Reibungsflächen sind geblieben. Es braucht immer wieder guten Willen und Anstrengungen, das einvernehmliche Zusammenleben zu sichern, zu bewahren. Dazu gehören etwa Botschafter zwischen den Kulturen.

Der beste von ihnen ist derzeit sicher der Tennisstar Jannik Sinner: Er spricht Italienisch mit deutschem Akzent. Ihm jubeln im Stiefelland alle zu, fast schon frenetisch. Und dieser Jubel wiegt wohl deutlich schwerer als die Empörung über die abgelegte Schärpe.

Rendez-vous, 20.5.2025, 12:30 Uhr;brus

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