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Selenski-Berater im Interview Mikhailo Podoljak: «Unser Angriff kann schon sehr bald erfolgen»

Täglich steht Mikhailo Podoljak dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski mit Rat zur Seite. Regelmässig wendet er sich als Wortführer auch direkt an die Öffentlichkeit und während der Verhandlungen mit Russland war der ehemalige Journalist für Kiew ein wichtiger Verhandlungsführer.

Nun spricht der 51-Jährige im Interview über die erwartete ukrainische Gegenoffensive, wann der Zeitpunkt für Verhandlungen gekommen ist und darüber, weshalb der Krieg bald zu Ende sein könnte.

Mikhailo Podoljak

Berater von Wolodimir Selenski

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Mikhailo Podoljak ist 1972 in der westukrainischen Stadt Lwiw geboren. Acht Tage nach seinem 50. Geburtstag ist Russland in die Ukraine eingefallen. Der langjährige Journalist und Politberater gehört zu den engsten Vertrauten des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski.

SRF News: Die Weltgemeinschaft schaut auf die Ukraine, man erwartet die Gegenoffensive. Wie wird diese aussehen?

Mikhailo Podoljak: Es wird heftige Kämpfe an verschiedenen Frontabschnitten geben. Klar, dass im Moment niemand sagt, wo genau das geschehen wird – es ist Krieg, nicht ein Spiel. Unser Generalstab analysiert jetzt, wo die Russen welche Ressourcen stationiert haben.

Mikhailo Podoliak im Bild, hinter ihm eine ukrainische Flagge. Dunkles Haar, der Zeitfinger streicht seine Augenlider.
Legende: Mikhailo Podoljak übt auch Kritik an der Schweizer Neutralität. REUTERS/Anna Voitenko

Gleichzeitig bereiten wir uns vor, in dem wir eigene Truppen bereitstellen und die russischen Nachschublinien angreifen. Unser Angriff kann schon sehr bald erfolgen – und zwar überall an der Frontlinie.

Welches sind die wichtigsten Ziele der Ukraine?

Das strategische Ziel ist, zu den Grenzen von 1991 zurückzukehren. Das heisst, das ganze Staatsgebiet der Ukraine von den Besatzern zu befreien, inklusive der Halbinsel Krim. Denn wenn wir das nicht tun, wird der Krieg mit Russland nie aufhören.

Die taktischen Ziele sind sehr vielfältig. Denn die Gegenoffensive ist nicht einfach ein einzelnes Ereignis, das heute beginnt und morgen fertig ist. Das sind Dutzende, ja Hunderte ganz unterschiedlicher Aktionen – wie gesagt: auf der ganzen Frontlinie und auch gegen russische Infrastruktur im Hinterland.

Die Vergangenheit zeigt, dass Offensiven in diesem Krieg in der Regel einige Monate dauern. Was kommt nach der nun erwarteten ukrainischen Offensive, wie geht der Krieg dann weiter?

Meiner Meinung nach wird eine erfolgreiche Offensive die russische Armee endgültig demoralisieren. Danach können wir den Krieg langsam zu einem Ende bringen. Vereinfacht gesagt: Wenn wir den Russen noch zwei, drei Niederlagen zufügen, werden sie sich von selbst zurückziehen.

Das heisst, ein Ende des Krieges ist nicht mehr so weit entfernt?

Wissen Sie, es ist eine Illusion, dass sich der Krieg lange hinziehen wird. Russland versucht, diese Mär zu verbreiten. Aber in Tat und Wahrheit hat Russland keine Ressourcen, um diesen Krieg lange fortzuführen.

Der Krieg wird in absehbarer Zeit enden.

Das hier ist ein hoch technologisierter Krieg. Die Russen haben zwar sehr viel alte sowjetische Militärtechnik, aber sehr wenig moderne Technologie. Deswegen können sie nicht mehr lange weiterkämpfen – und deswegen wird dieser Krieg in absehbarer Zeit enden.

Was muss geschehen, damit die Ukraine bereit ist, mit Russland zu verhandeln?

Es gibt eine einfache Friedensformel von Präsident Selenski, deren wichtigster Punkt der Abzug russischer Truppen ist. Wenn Russland heute seine Truppen abzieht, werden wir morgen am Verhandlungstisch über alle andere Fragen sprechen.

Noch ein paar Fragen zur Rolle der Schweiz. Tut die Schweiz aus ihrer Sicht genug, um die Ukraine zu unterstützen?

Wissen Sie, ich wünschte mir, dass jedes einzelne Land viel mehr tut, denn es geht hier ja um die Sicherheit von ganz Europa. Aber gleichzeitig sehe ich, dass in vielen Ländern – auch in der Schweiz – sich der Blick auf diesen Krieg ändert und die Bereitschaft wächst, historische Veränderungen herbeizuführen.

Wir sehen, dass es in der Schweiz eine Debatte gibt, ob man einem angegriffenen Land nicht beistehen soll. Natürlich wissen wir um die Schweizer Neutralität – aber wie gesagt, wir sehen, dass sich da etwas bewegt.

Die Schweizer Gesetzgebung verbietet zurzeit die Wiederausfuhr von Schweizer Waffen in Ländern, die Krieg führen. Wie wichtig wären für die Ukraine die Schweizer Waffen, die von diesem Exportverbot betroffen sind?

Für uns ist jede Waffe wichtig – und natürlich würden uns auch Schweizer Waffen helfen. Wie gesagt, wir sehen, dass es in der Schweiz zurzeit eine Diskussion über diese Themen gibt.

Wenn man einem Land, das sein Territorium verteidigt, Waffen verweigert, wofür braucht man dann überhaupt Waffen?

Mir stellt sich in diesem Zusammenhang folgende Frage: Wenn man einem Land, das sein Territorium verteidigt, Waffen verweigert, wofür braucht man dann überhaupt Waffen? Waffen werden hergestellt, damit sie gebraucht werden.

Halten Sie die Schweizer Neutralität in der heutigen Welt noch für zeitgemäss?

Das ist eine gute, philosophische Frage. Es geht darum: Sind wir wirklich bereit, unsere Werte zu verteidigen? Denn – soweit ich das verstehe – ist die Freiheit einer der wichtigsten Werte der Schweiz. Und wenn dann einer kommt und jemandem sagt: «Uns gefällt nicht, dass Du frei bist, wir greifen Dich jetzt an», dann soll der Angegriffene die Möglichkeit haben, sich zu verteidigen. In so einer Situation bedeutet Neutralität, dass man zuschaut, wie die Freiheit ausgelöscht wird.

Das Gespräch führte David Nauer.

Echo der Zeit, 17.05.2023, 18:00 Uhr ; 

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