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Söldner im Ukraine-Krieg Bis zu 15'000 Nepalesen kämpfen für Russland

Der russische Krieg ist weit weg von Nepal – einem kleinen, armen Land am Fuss des Mount Everest. Trotzdem haben schon mindestens 14 Nepalesen ihr Leben an der Front gelassen. Hunderte weitere werden vermisst. Jetzt fordert Nepal seine Männer zurück.

Bhadra Shahi sitzt zusammengesunken im kleinen Wohnzimmer ihrer Schwiegereltern in Kathmandu. Im Arm ihre viermonatige Tochter. In der Stimme Trauer.

«Wenn ich von diesem Krieg gewusst hätte, hätte ich ihn nicht gehen lassen», sagt die 28-jährige Frau leise. Aber ihr Mann Bharat habe ihr erzählt, dass der Krieg vorbei sei. Das war vor sieben Monaten.

Eine Frau sitzt mit ihrem Baby in ihrem Arm in einem Raum. Beide blicken in die Kamera.
Legende: Bhadra Shahis Mann Bharat ist im Ukraine-Krieg gefallen. Seine vier Monate alte Tochter hat er nie kennengelernt. SRF/Maren Peters

Ihr Mann habe damals in Dubai gearbeitet, in der Sicherheitskontrolle am Flughafen, sagt sie und reicht die wimmernde Tochter an die Schwiegermutter weiter. Wie viele Nepalesen verdiente er sein Geld im Ausland, weil es im armen Nepal zu wenig Arbeit gibt, vor allem in den schwer zugänglichen Berggebieten, in denen die Familie lebt. Aber der Lohn war auch in Dubai zu niedrig. Und die Tochter schon unterwegs.

Armut in Nepal: Hohe Berge machen nicht reich

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Nepal ist das Land des Mount Everest, dem mit 8848 Metern höchsten Berg der Welt. Dieser zieht zwar viele Bergtouristen an, macht das Land aber nicht reich. Im Gegenteil: Nepal gehört zu den ärmsten Ländern der Welt.

15 Prozent der gut 29 Millionen Einwohner leben gemäss Weltbank unterhalb der Armutsgrenze, haben also weniger als 1.9 Dollar pro Tag zur Verfügung. Der Bildungsstand ist tief und es gibt zu wenig Arbeitsplätze für die Bevölkerung. Darum gehen viele Nepalesinnen und Nepalesen zum Arbeiten ins Ausland – u. a. auch als Söldner nach Russland.

Einen Teil ihres Lohns schicken die Arbeitsmigranten zurück ins Land. Diese Rückflüsse sind für Nepal immens wichtig: Sie machen fast ein Drittel der Wirtschaftsleistung aus.

Ein Arbeitsvermittler versprach bessere Zukunftsaussichten in Russland. Ein gutes Gehalt für Hilfsdienste in der russischen Armee. Und: einen russischen Pass für die ganze Familie, der viel wertvoller sei als der nepalesische.

Sie habe zugestimmt. Und die noch fehlenden 5000 Dollar für den Vermittler besorgt.

Ich kann nicht glauben, dass er tot ist.
Autor: Bhadra Shahi Witwe eines in der Ukraine gefallenen Nepalesen

«Vor drei Monaten hat mich ein Kollege informiert, dass mein Mann tot ist.» Gefallen an der ukrainischen Front, von der sie nichts wusste. Eine offizielle Bestätigung hat die junge Mutter bis heute nicht erhalten. Vom Gehalt ihres Mannes ist nichts bei ihr angekommen.

«Ich kann nicht glauben, dass er tot ist», sagt Bhadra Shahi und wirft einen Blick auf das gerahmte Familienfoto an der Wand. Ein Foto aus glücklichen Tagen: Ein sportlicher Mann mit neongelbem Kapuzenpulli, im Arm seine lächelnde Frau mit dem erstgeborenen Sohn. Der letzte Heimatbesuch vor einem Jahr. Das letzte gemeinsame Foto. Er wurde 36 Jahre alt.

Ein eingerahmtes Familienfoto. Es ist der Mann mit seiner Frau und dem Sohn zu sehen. Daneben stehen zwei Personen.
Legende: Ein Bild aus glücklicheren Tagen: Die Familie von Bhadra Shahi (zweite von links) beim letzten Heimatbesuch vor einem Jahr mit dem älteren Sohn. SRF/Maren Peters

Bharat Bahadar Shah war einer von vermutlich Tausenden Nepalesen, die Russland für den Krieg gegen die Ukraine angeworben hat. Das war lange kein Thema in Nepal. Aber jetzt sind nach Regierungsangaben 14 Soldaten gestorben, Hunderte werden vermisst.

Die Familien fordern ihre Männer und Söhne zurück. Und Kompensation für die Angehörigen der Toten. Die Regierung ist nach eigenen Angaben in Verhandlungen. Und hat Russland aufgefordert, die Nepalesen zurückzugeben. Die russische Botschaft in Nepal wollte das auf schriftliche Anfrage nicht kommentieren.

Foto zeigt nur einen Kopf und den Unterarm

In einem Restaurant in der Hauptstadt Kathmandu sitzt Kritu Bhandari, eine Politikerin und Aktivistin. Sie hat sich an die Spitze einer Bewegung von Familien gesetzt, deren Männer und Söhne in Russland sind. Aktuell sei sie mit 1500 Familien in Kontakt, sagt die 30-Jährige. Sie öffnet ihr Smartphone, zeigt ein Video.

Darauf zu sehen ist ein Nepalese im Tarnanzug, in einem Lager in Russland. Plattes Land, ein paar Büsche, etwas Schnee, im Hintergrund zeigt er auf die Grenze zur Ukraine. Kritu Bhandari klickt weiter. Die letzten beiden Aufnahmen zeigen tote Soldaten. In einem Fall ist nur ein Kopf und ein Unterarm mit Hand zu sehen. Der Bruder des Toten habe es ihr geschickt.

Aktivistin dokumentiert 18 tote Nepalesen

Sie selbst habe 18 tote nepalesische Soldaten dokumentiert, sagt die Aktivistin. Keiner habe so genaue Daten wie sie. Ein desertierter Hauptmann habe berichtet, dass insgesamt 14'700 Nepalesen für Russland angeworben wurden. Die Regierung geht von deutlich niedrigeren Zahlen aus.

Viele Familien wüssten nicht, dass ihre Männer und Söhne für Russland gegen die Ukraine kämpfen würden, sagt Kritu Bhandari. Wenn sie tot seien, bekämen die Familien ihre Leichen nicht zurück. Die Russen würden nur ein Foto mit dem Grab schicken – wenn überhaupt. Eine der zentralen Forderungen der Angehörigen sei deshalb, die Toten zurückzubekommen.

Von Arbeitsvermittler angeworben

Tina Ghimire hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, obwohl ihr Mann seit drei Monaten vermisst wird. Auch er ging für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nach Russland.

«Wir sind arm und haben drei Kinder», erzählt die 36-Jährige in einem Cafe in einem Aussenbezirk Kathmandus. Ihr Mann, ein pensionierter Soldat der nepalesischen Armee, liess sich von einem Arbeitsvermittler in Nepal anwerben.

«Mein Mann sagte mir, er werde als Wächter in Russland arbeiten.» Das habe ihm der Vermittler der Agentur so versprochen. Doch neun Tage nach seiner Ankunft in Russland ging es in ein Armeelager ins russisch besetzte Gebiet in der Ukraine. Wo genau, weiss seine Frau nicht.

Meine Kinder fragen mich immer, wo ihr Vater ist.
Autor: Tina Ghimire Mutter von drei Kindern

«Er zeigte mir Videos», sagt Tina Ghimire. Das Lager gefiel ihm nicht, das Essen war schlecht. Er wollte fliehen, wurde aber erwischt. Dann nahmen sie ihm das Telefon weg. Er lieh sich ein Handy und sagte ihr, dass er an die Front müsse. Seitdem ist der Kontakt abgerissen.

«Meine Kinder fragen mich immer, wo ihr Vater ist. Ich glaube, er ist noch am Leben», sagt Tina Ghimire trotzig.

Wie soll sie ohne ihn klarkommen? Für die Vermittlung des Arbeitsvertrages in Russland musste ihr Mann 8500 Dollar an die Agentur zahlen. Bei der Ankunft in Moskau wurden für einen anderen Agenten, der ihn ins Lager brachte, noch einmal 1000 Dollar fällig. Das erzählen auch andere.

Kredit für Arbeitsvertrag und falsche Versprechen

«Wir hatten kein Geld und mussten einen Kredit aufnehmen», sagt die dreifache Mutter. Sie muss ihn mit 36 Prozent Zins zurückzahlen, was in Nepal durchaus üblich ist. Doch das Geld für die Rückzahlung hat sie nicht.

Sie wird einen neuen Kredit aufnehmen müssen. Denn auch sie hat Monate, nachdem ihr Mann nach Russland abgereist war, noch keinen einzigen Rubel seines Lohns gesehen. «Ich fühle mich betrogen», sagt Tina Ghimire.

Tina Ghimire hofft nun, dass die Regierung ihren Mann zurückbringt. «Ich weiss zwar, dass er illegal nach Russland eingereist ist», sagt sie, «aber er ist doch Nepalese. Die Regierung ist verpflichtet, ihn sicher zurückzubringen.»

Aber das ist gar nicht so einfach. Nepal hat kein Abkommen mit Russland abgeschlossen. Alle Männer sind ohne Arbeitserlaubnis eingereist, also illegal, viele mit Touristenvisum.

Tiktok-Werbung für den Krieg

Im Gegensatz zu anderen Männern ist Suman Rai zurückgekommen. Der 31-Jährige aus dem bergigen Osten Nepals war – wie viele andere in Nepal – durch Tiktok-Werbung auf die Arbeitsmöglichkeit in Russland aufmerksam geworden.

Porträtaufnahme eines Mannes.
Legende: Suman Rai hat es geschafft zu fliehen, bevor er an die Front in der Ukraine geschickt wurde. Seinen russischen Lohn habe er nie bekommen, sagt der 31-Jährige, der auf einem hohen Berg Schulden sitzt. SRF/Maren Peters

«Ich bin für Geld gegangen», sagt Suman Rai. Zweieinhalbtausend Dollar seien ihm für einen Hilfsjob in Russland offeriert worden. In Nepal hätte er für eine vergleichbare Arbeit 150 Dollar bekommen. Im Monat.

Dem jungen Mann aus einer Familie von Soldaten schien das Angebot sehr verlockend. Der frühere Koch sass auf einem Berg von Corona-Schulden. Für die Vermittlungsgebühr nahm auch er Tausende Dollar neue Schulden auf.

Waffentraining auf Russisch

In Russland sei er in ein Lager gebracht worden. Zehn Tage ging es ihm bestens. Gutes Essen, warmes Wasser, Klimaanlage. Doch dann ging es weiter in ein zweites Lager in einem dichten Wald: Eineinhalb Monate Waffentraining auf Russisch, das er kaum verstand, knapp 8000 Leute, viele Ausländer, sehr viele Nepalesen. Er sah Landsleute verletzt von der Front zurückkommen. Da wusste er, was ihm drohte.

Ein Mann in Militäruniform steht auf einer kleinen Strasse neben einem Gebäude. Er posiert mit verschränkten Armen.
Legende: In den russischen Armeelagern ging es Suman Rai anfangs bestens. Später realisierte er, dass sein Leben auf dem Spiel steht. ZVG

Suman Rai beschloss, zu fliehen. Und das, obwohl Soldaten an der Front sogar 9000 Dollar in Aussicht gestellt wurden, wie er berichtet. Doch die Chance, an der Front auch nur drei Sekunden zu überleben, sei klein, sagt er.

Ein Fluchthelfer brachte den jungen Mann schliesslich raus. Das kostete noch einmal 3000 Dollar. Über Moskau, Aserbaidschan und Delhi erreichte er Nepal. Seit Oktober ist er wieder zurück. Mit noch mehr Schulden auf dem Buckel als bei der Abreise. Seinen russischen Lohn habe er nie bekommen.

Und trotzdem ist Suman Rai zufrieden. Er hat wenigstens sein Leben retten können. Einer seiner Freunde ist gefallen. Verheizt als Kanonenfutter im russischen Krieg, von dem viele in Nepal nicht einmal wissen, dass es ihn gibt.

Hinweis der Redaktion

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In einer früheren Version des Textes war von einer nepalesischen «Manpower»-Agentur die Rede und es wurde fälschlicherweise der Bezug zur international tätigen ManpowerGroup hergestellt. Diese weist jedoch darauf hin, dass sie in Nepal kein Geschäft betreibt und auch keine Kosten für die Vermittlung von Kandidierenden in Rechnung stellt. Der Firmenname «Manpower» wurde deshalb aus dem Text gestrichen.

Rendez-vous, 01.03.2024, 12:30 Uhr;kobt

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