Darum geht es: Im spanischen Parlament beginnt heute die Debatte über eine Neuauflage der Regierung des Sozialisten Pedro Sánchez. Er ist seit 2018 an der Macht und möchte vier weitere Jahre im Amt bleiben. Sánchez kann bei der Abstimmung, die voraussichtlich am Donnerstag stattfindet, mit 179 Ja-Stimmen rechnen – bei insgesamt 350 Abgeordneten im spanischen Unterhaus. Das wäre eine knappe Mehrheit von drei Abgeordneten für die neue Regierung.
Die Koalition besteht aus sehr unterschiedlichen und teils kleinen Splitterparteien mit sehr unterschiedlichen Interessen.
Einigung mit Katalanen: Letzte Woche hatte sich Sánchez die Unterstützung zweier katalanischer Parteien gesichert – im Gegenzug versprach er ein Amnestiegesetz für die Separatisten rund um den früheren katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont. Auch die Unterstützung einer baskischen Partei sicherte sich Sánchez durch Zusagen. Die Folge: «Die Koalition besteht aus sehr unterschiedlichen und teils kleinen Splitterparteien mit sehr unterschiedlichen Interessen», so SRF-Auslandredaktor Beat Vogt. Deshalb stehe die neue Regierung Sánchez – so sie denn tatsächlich zustande kommt – auf wackligen Füssen.
Das Amnestiegesetz: Das Gesetz soll jene katalanischen Politikerinnen und Politiker rehabilitieren, die 2017 eine aus Sicht Madrids illegale Volksabstimmung über die Abspaltung Kataloniens vom spanischen Zentralstaat durchgeführt hatten. Wichtigste Figur war dabei der damalige katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont. Er befindet sich seit sechs Jahren im belgischen Exil, nachdem die spanische Justiz einen Haftbefehl gegen ihn erlassen hatte. Insgesamt geht es um rund 400 Personen, die bei dem Abspaltungsversuch eine wichtige Rolle spielten. Rund ein Dutzend von Puigdemonts Mitstreiterinnen und Mitstreitern waren 2019 zu teils jahrelangen Haftstrafen verurteilt worden. Sie wurden von Sánchez noch im selben Jahr begnadigt.
Heftige Proteste: Nach Bekanntwerden der Einigung mit den Katalanen kam es am letzten Wochenende in ganz Spanien zu Massenprotesten gegen eine Amnestie der katalanischen Separatisten. Die grösste Oppositionspartei, die konservative Volkspartei PP, die zu den Kundgebungen aufgerufen hatte, sprach von landesweit zwei Millionen Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Die politische Rechte argumentiert, mit einer Amnestie seien der Rechtsstaat, die Demokratie und die Einheit des Landes in Gefahr. Es stört sie auch, dass Sánchez Ministerpräsident bleiben könnte, obwohl seine Sozialisten bei der Parlamentswahl im Juli nur als zweitstärkste Kraft hervorgingen. Allerdings schaffte es der konservative Spitzenkandidat Alberto Núñez Feijóo nicht, eine Regierungsmehrheit zusammenzubringen.
Tiefe Gräben: Sowohl die Gegnerinnen von Sánchez als auch die Befürworter seines Vorgehens sparten nicht mit grossen Worten, sagt SRF-Auslandredaktor Beat Vogt: «Es gehe um nicht weniger als die Demokratie, sagen die konservativen Gegner – und die linken Befürworter betonen, es gehe um das Zusammenleben in Spanien.» Auf den Punkt gebracht, sagt die konservative Seite: Mit dem Amnestiegesetz versuche die Politik, den Rechtsstaat auszuhebeln. Die Linke dagegen betont, dass der Katalonienkonflikt eben gerade nicht mit der Justiz und Gerichtsprozessen gelöst werden könne, sondern mit Gesprächen – also mit der Politik. Und genau das passiere jetzt mit dem Amnestiegesetz.