Francesc de Carreras ist Emeritierter Professor für Verfassungsrecht, gefragter Kommentator in «El País», der grossen spanischen Tages-Zeitung. Ohne ihn würde die spanische Partei «Ciudadanos» vermutlich nicht existieren.
2005 verfasste er in Barcelona gemeinsam mit anderen Akademikern, Künstlern und Literaten ein Manifest, das zum Gründungspapier von Ciudadanos werden sollte. Dem Text lag die Überzeugung zugrunde, dass es in der Parteienlandschaft in Katalonien eine Lücke gab, und zwar in der Mitte.
Schulterschluss mit den Rechten
Platz für eine Partei, die das starre Gefüge von Sozialisten und Konservativen aufbrechen würde. Und all jenen in Katalonien eine politische Heimat geben würde, die progressive Positionen vertraten, sich aber gegen die Unabhängigkeit Kataloniens aussprachen. «Sozialdemokratie und Liberalismus waren damals die beiden Grundpfeiler.» Doch davon sei nicht mehr viel übrig, so de Carreras.
«La Foto de Colón»: Das Foto wurde Mitte Februar bei einer Demonstration gegen die linke Regierung in Madrid aufgenommen. Es zeigt Pablo Casado (Chef der Konservativen), Santiago Abascal (Chef der rechts-nationalen Vox) und Albert Rivera (Parteichef von Ciudadanos). Schon damals, in der frühen Phase des Wahlkampfes, verstanden das viele als Sinnbild für den Rechts-Rutsch der Partei.
Seither hat Spanien gewählt. Die Linken haben gewonnen. Regieren will Ciudadanos, mit der Linken aber auf keinen Fall. So schreckt Ciudadanos nicht davor zurück, stattdessen mit der ultra-rechten Vox zusammenzuspannen.
Jener Partei, die sich «Make Spain great again» auf die Fahnen schreibt. Welche die Rechte von Frauen, Homosexuellen und Trans-Menschen beschneiden will und eine Anti-These zum Liberalismus verkörpert.
In mehreren Regionen ist Ciudadanos Bündnisse eingegangen, die Vox an die Macht verhelfen. Namhafte Mitglieder verlassen die Partei, weil sie sie kaum mehr wiedererkennen. Vor ein paar Tagen war es Toni Roldán, als Partei-Sprecher ein prominenter Kopf. Ebenso Javier Nart, einer der zwei Vertreter der Partei, die 2014 ins Europa-Parlament gewählt wurden.
De Carreras ist bitter enttäuscht. Er fühle sich von Ciudadanos verraten. Albert Rivera, der junge Partei-Chef, verhalte sich wie ein launischer Teenager. Das hat er in einem offenen Brief in «El País» wortwörtlich geschrieben.
Liberalismus heisst für Parteichef Rivera vor allem Wirtschaftsliberalismus. Der Jurist und Ex-Banker wirkt ratlos. Es fehlt an Haltung, an politischer Linie.
Die einzige Position, an der er festhält, ist die Weigerung, mit den Linken eine Regierung zu bilden.
«Mit einer Koalition zwischen den linken Wahlsiegern und Ciudadanos stünde Spanien vor der einmaligen Chance, eine stabile, progressive Regierung zu bilden», so Roldán. Sich diese Chance entgehen zu lassen, sei ein gravierender Fehler.
Persönliches vor Politischem
Ein Grund für Riveras Weigerung ist seine Heimat Katalonien. Er ist ein überzeugter Anti-Separatist. Dass die Linken nur schon dazu bereit sind, mit den Separatisten zu reden, grenzt für ihn an eine Todsünde.
Ebenfalls spielt die Rivalität zwischen ihm und Pedro Sánchez, dem Chef der Linken, eine entscheidende Rolle. Die beiden ehrgeizigen Männer könnten sich aufs Blut nicht ausstehen. So sehr, dass für Rivera das Persönliche stärker wiegt, als das Politische. Man würde sich weniger Eitelkeit und mehr Rückgrat wünschen.