SRF News: Götz Neuneck, Nordkorea hat in den vergangenen Jahren sein Raketenarsenal weiterentwickelt. Welche Fortschritte hat es dabei erzielt?
Götz Neuneck: Nordkorea hat Fortschritte erzielt. Aber da ist sehr viel Show dabei. Unter dem jetzigen Machthaber Kim Jong Un, also seit 2012, hat sich die Zahl der Raketentests enorm erhöht. Es sind verschiedene Versionen getestet worden: Übliche alte sowjetische Technologie, Scud-Kurzstrecken-Raketen. Aber auch neuere Systeme wie etwa die Mittelstreckenrakete vom Typ «Musudan».
Es sind auch grosse Raketen bei Paraden gezeigt worden, so dass man den Eindruck hat, dass hier intensiv entwickelt wird; das kann man nicht bezweifeln. Ich habe aber den Eindruck, dass es für die Fernsehkameras besonders dramatisch dargestellt wird. Das Regime gibt vor, Fähigkeiten zu besitzen, die es im Grunde gar nicht hat.
Das Regime gibt vor, Fähigkeiten zu besitzen, die es im Grunde gar nicht hat.
Es gibt Experten, die sagen, Nordkorea werde bald über eine funktionierende Interkontinental-Rakete mit Nuklearsprengkopf verfügen.
Ich sehe den Beweis dafür im Moment überhaupt nicht. Eigentlich macht das Regime immer dasselbe: Es inszeniert grossartige Erfolge, um zu zeigen, dass Nordkorea nicht angreifbar ist. Ob das, was da getestet wird, auch alles wirklich zuverlässig funktioniert und wenn ja, unter welchen Bedingungen, wissen wir nicht. Die Meldungen über die Tests klingen dramatisch und sollen im Westen genau jene Wirkung haben, die sie jetzt hervorrufen. Ich möchte aber nicht bestreiten, dass Nordkorea eine Interkontinental-Rakete entwickeln will.
Wie weit ist Nordkorea in dieser Entwicklung?
Die Entwicklung einer Interkontinental-Rakete ist nicht so einfach. Bisher haben das neben den USA und Russland erst China und Frankreich geschafft. Grossbritannien setzt auf amerikanische Systeme und Indien arbeitet an erweiterten Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von bis zu 5000 Kilometern. Um die USA zu erreichen, bräuchte Nordkorea eine Rakete mit doppelter Reichweite. Im April 2006 gab es einen ersten Test einer Interkontinental-Rakete, der aber nicht wirklich funktionierte. Ich glaube nicht, dass Nordkorea in den nächsten fünf Jahren eine funktionierende Interkontinental-Rakete entwickeln kann.
Die Meldungen über die Tests klingen dramatisch und sollen im Westen genau jene Wirkung haben, die sie jetzt hervorrufen.
Wo liegen denn die Schwierigkeiten beim Herstellen einer Interkontinental-Rakete mit Nuklearsprengkopf?
Zuerst einmal muss die Rakete zuverlässig fliegen können. Momentan ist das nicht der Fall. Beim jüngsten Test ist die Rakete kurz nach dem Start explodiert . Mit einem Atomsprengkopf wäre das natürlich ganz schlecht. Der Sprengkopf muss ausserdem die Beschleunigung aushalten und er muss beim Wiedereintritt in die Atmosphäre mit einem Schutzschild geschützt sein. Bisher verfügt Nordkorea nicht über diese Technologie.
Mit den U-Boot-Raketen scheint Nordkorea in den vergangenen Monaten aber grosse Fortschritte erzielt zu haben.
Das Land ist in der Lage, von einer unterirdischen Plattform Raketen unter Wasser abzuschiessen. Ob diese Raketen allerdings tatsächlich aus einem U-Boot kamen, weiss man nicht.
Welche Gefahr stellt das nordkoreanische Waffenarsenal denn im Moment für Südkorea oder Japan dar?
Diese Länder kann Nordkorea sicherlich erreichen. Die südkoreanische Hauptstadt Seoul wäre auch mit schweren Mörsern zu erreichen; da braucht es keine Raketen. Die Frage ist allerdings, ob ein solcher Angriff aus nordkoreanischer Sicht sinnvoll wäre.
Das Gespräch führte Andreas Reich