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SPD-Parteitag Lars Klingbeil: An dem Mann gibt es kein Vorbeikommen

Die SPD-Delegierten bestätigen den Norddeutschen als Co-Parteichef neben Bärbel Bas. Sie hatten auch gar keine Alternative – obwohl Klingbeil die Niederlage bei der Bundestagswahl im Februar mitverantwortet. Ein Porträt.

Es sollen wilde Zeiten gewesen sein, die der junge Lars Klingbeil in Niedersachsen verbrachte. Mit seiner Band «Sleeping Silence» zog er durch die Konzertlokale in Hannover. Als Klingbeil Mitte zwanzig für seinen ländlichen Wahlkreis in den Bundestag zog, war noch das Augenbrauen-Piercing, aber neu auch Anzug angesagt.

Aufgewachsen ist Klingbeil am grössten Standort des Heeres. «Wenn Du als Kind mit Freunden Verstecken spielst, liegt in jedem zweiten guten Versteck schon ein Soldat in der Grundausbildung», witzelte Klingbeil am Karneval. Der Sohn eines Bundeswehrsoldaten und einer Verkäuferin war der Erste seiner Familie, der studieren konnte. 

Karrieresprung trotz Mitschuld an «Vollkatastrophe»

Klingbeil übernahm unter Kanzler Scholz 2021 den Co-Parteivorsitz mit Saskia Esken. Die SPD stürzte unter den beiden und mit dem unbeliebten Kanzlerkandidaten Scholz in ungeahnte Tiefen: Bei der vorgezogenen Neuwahl im Februar bekam sie 16.4 Prozent. Eine «Vollkatastrophe», wie es eine Genossin nannte.

Doch weil es die SPD für eine Regierung mit CDU/CSU braucht, katapultierte das Klingbeil direkt zum mächtigsten Sozialdemokraten – er vereinte geschickt Partei- und Fraktionsvorsitz auf sich, verhandelte den Koalitionsvertrag und wurde Vizekanzler und Finanzminister.

Lars Klingbeil
Legende: «Nach einer Klartext-Aussprache über die letzten Monate» wieder gemeinsam nach vorne schauen. Darum bittet Finanzminister Lars Klingbeil die SPD-Delegierten am 27. Juni 2025 am Parteitag in Berlin. Keystone/EPA/FILIP SINGER

Nun bleibt er auch Parteichef. Verantwortung übernehmen, nennt er es selbst. Saskia Esken dagegen ist weg. Dass mit Klingbeil ein «Architekt des Misserfolgs» (Zitat Juso-Chef Türmer) so durchmarschiert, sorgt für interne Kritik.

Ein gewiefter Brückenbauer – auch in eigener Sache

Viele schätzen Klingbeil aber als integrierend und loyal. Dass er gleichzeitig ehrgeizig, durchsetzungsstark und machtbewusst ist, hat sich für ihn ausbezahlt. Er baut Brücken nicht nur in der Partei, sondern auch für sich selbst.

Im Umgang mit dem Regierungspartner kommt Klingbeil seine unaufgeregte Art entgegen. «Ich finde es angenehm, dass Politik nicht mehr dieses breitbeinige Rumgebrülle ist», sagte er 2020 in der Talkshow «3nach9». Wenn also Vizekanzler Klingbeil und Kanzler Merz, beide fast zwei Meter gross, nicht nur auf Augenhöhe, sondern auch mit Anstand verhandeln, stärkt dies das gegenseitige Vertrauen.

SPD braucht tiefgreifende Veränderung

Die grössten Herausforderungen warten in der SPD selbst auf ihn. Es stehen viele Debatten an, mit denen der pragmatische Parteichef aus dem konservativen SPD-Flügel nun umgehen muss: Wehrpflicht, Migration, Aufrüstung, soziale Gerechtigkeit, AfD-Verbot. Hier droht der Spagat zwischen Druck vom Regierungspartner und jenem aus der SPD-Basis.

Die schwierigste Aufgabe aber wird sein, das verlorene Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen. Die SPD muss regieren und sich gleichzeitig ernsthaft erneuern. Sie muss kooperieren und gleichzeitig ihr Profil schärfen – das tönt nach der Quadratur des Kreises, mindestens aber nach einem Kraftakt.

65 Prozent für Klingbeil – 95 Prozent für Bas

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Der SPD-Parteitag in Berlin wählte Lars Klingbeil am Freitag mit 65 Prozent zwar erneut zum Vorsitzenden. 2023 hatte er aber noch 85,6 Prozent der Stimmen der Delegierten erhalten. Arbeitsministerin Bärbel Bas vom linken Parteiflügel erhielt als gleichberechtigte Co-Vorsitzende mit 95 Prozent deutlich mehr Stimmen der Delegierten und führt die SPD nun zusammen mit Vize-Kanzler und Finanzminister Klingbeil.

Echo der Zeit, 27.06.2025, 18:00 Uhr

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