Über die Vergangenheit erzählen die Bäume im idyllischen Bergdorf Brih mehr als die Menschen. Auf Elie Hassouns gepflügtem Land steht ein uralter, fast astloser Olivenbaum. «Hier standen einst viele Olivenbäume. Sie haben sie im Krieg niedergebrannt», sagt der 33-jährige Christ.
Mit «sie» meint er die Drusen, die in den 1980er Jahren rund eine Viertelmillion Christinnen und Christen aus der Region vertrieben, darunter auch seine Grosseltern und Eltern aus Brih. Bis heute sind die meisten Vertriebenen nicht zurückgekehrt.
Zwar handelte die libanesische Regierung 2014 ein Versöhnungsabkommen zwischen Drusen und Christen in Brih aus, das den Vertriebenen die Rückkehr ermöglicht. Mit den Mördern ihrer Angehörigen im gleichen Dorf zu wohnen, ist für viele jedoch unvorstellbar. Gesühnt sind die Kriegsverbrechen von damals nämlich nicht: Es gab für alle Kriegsbeteiligten eine Amnestie.
Elie Hassoun kehrte erst vor zwei Jahren aufs Land seines Grossvaters zurück. Der Bürgerkrieg ist für ihn Vergangenheit. «Würde ich darüber nachdenken, könnte ich nicht zurückkehren», sagt er. Auf seinem Land arbeiten ein Druse und ein Muslim. «Wir arbeiten alle zusammen. Wir denken anders als unsere Grosseltern, deren Einstellung zum Bürgerkrieg führte.»
Elie Hassoun ist Fotograf und hat einen Master in audiovisuellen Medien. Bis vor vier Jahren verdiente er umgerechnet 5000 Franken im Monat. Doch die Kriegsgeneration, die noch immer an der Macht ist, hat Libanon mit ihrer Korruption in den Ruin getrieben. Heute hat der Frischverheiratete kaum mehr Aufträge.
Wir Libanesen sind erfinderisch, unser Land ist es nicht.
Bestes Trinkwasser fliesst vom Berg Barouk hinunter ins Dorf: Damit bewässert Elie Hassoun seine 2000 Quadratmeter Land. Er will Selbstversorger werden. Denn Löhne sind wegen der horrenden Inflation fast nichts mehr wert. «Meine Frau ist Physikprofessorin. Sie verdient jetzt weniger als 250 Dollar im Monat. Davon können wir nicht leben.»
Mit dem eigenen Obst- und Gemüseanbau lässt sich kaum etwas verdienen, wie Elie Hassoun anhand junger kranker Olivenbäume erklärt. «Diese vier Bäume sind krank. Um Baumschutzmittel zu kaufen, brauchen wir Dollar. Weil Libanon alles importiert, können wir nichts in libanesischen Pfund bezahlen.»
Dollar sind in Libanon jedoch kaum erhältlich, und teuer: Ein US-Dollar kostet heute rund zwölfeinhalb Tausend libanesische Pfund, achtmal mehr als vor zwei Jahren. Ein Baumschutzmittel oder ein Ersatzteil für einen Kleintraktor kostet mehr, als der Hobbybauer mit dem Verkauf von Obst oder Gemüse verdient.
Elie Hassoun will sich trotz allem nicht entmutigen lassen: Bauern macht ihm Spass, gibt seinem Leben einen Sinn. «Wir Libanesen sind erfinderisch, unser Land ist es nicht», lacht er. Während die Politiker der Bürgerkriegsgeneration Libanon weiter in den Abgrund treiben, will er auf den Trümmern ihres Krieges ein kleines Haus bauen.
«Das Haus meines Vaters wurde im Krieg zerstört - überall im Dorf liegen noch Trümmer zerstörter Häuser», sagt er. Von konfessionellen Spannungen in seinem Dorf Brih und von Politikern, die solche Spannungen schüren, will er nichts wissen. «Wir wollen keinen Krieg und auch nicht, dass unsere Kinder einen Bürgerkrieg erleben», sagt Elie Hassoun, der bald zum ersten Mal Vater wird.