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Städtebau aus Frauensicht Licht, Durchblick, Übersicht – so baut man eine Stadt für Frauen

Die nordschwedische Stadt Umeå gestaltet den öffentlichen Raum so, dass Frauen sich darin wohl und sicher fühlen.

Manchen gilt sie als «feministische Welthauptstadt». Dabei liegt Umeå, nicht ganz so gross wie die Stadt Bern, fernab der europäischen Metropolen, im dünnbesiedelten Norden Schwedens.

Doch die Stadt hat sich international einen Namen gemacht mit ihrem Städtebau – bei dem sie die Perspektive der Frauen seit Jahrzehnten konsequent in den Fokus stellt.

Nächtliche verschneite Parklandschaft mit beleuchteten Wegen.
Legende: Auch öffentliche Parks und Wege sind hell erleuchtet. Tief geschnittene Büsche sorgen für mehr Übersicht. SRF / Felicie Notter

Zentrales Thema ist dabei die Sicherheit im öffentlichen Raum. Dabei ist die Herausforderung im hohen Norden besonders gross: Hier wird es im Winter bereits um 2 Uhr nachmittags dunkel. Doch wer sich in Umeå umsieht, erlebt eine Stadt, die auch bei Dunkelheit einladend wirkt. Hell erleuchtet sind Strassen, Gehwege und Parks – der Schnee und die typisch schwedischen Fensterkerzen tragen ihren Teil dazu bei. Die Stadtplanung aus Frauensicht geht aber weit über die Beleuchtung hinaus.

Menschen gehen durch eine breite, helle, lichtdurchflutete Unterführung.
Legende: Die Vorzeige-Unterführung der Stadt ist breit, hell und hat abgerundete Ecken. Auch der Durchblick bis zum Ausgang ist für das Sicherheitsgefühl wichtig. SRF/Felicie Notter

Das Vorzeigebeispiel der Stadt ist der «Lev»-Tunnel: Die Bahnhofunterführung war einst dunkel und unübersichtlich. Heute ist sie so breit, dass sich Fussgänger, Velos und Kinderwagen jederzeit kreuzen können. Sie hat keine scharfen Ecken und einen Zwischenausgang in der Mitte. Die Wände sind bestückt mit weissen, reflektierenden Kacheln. Eine Kunstinstallation sorgt für akustische Berieselung.

Durchblick und Überblick

Doch ist das repräsentativ? Indirekt schon, sagt Linda Gustafsson, eine der beiden Gleichstellungs­beauftragten von Umeå. Der Tunnel zeige exemplarisch, auf welche Elemente die Stadt auch in anderen Unterführungen setze – die Helligkeit etwa oder die abgerundeten Ecken. Wichtig sei auch der Durchblick: «Wenn man hineingeht und das Ende sehen kann, fühlt sich eine Unterführung sicherer an.» Am wichtigsten aber sei es, dass mit solchen Massnahmen mehr Menschen die Unterführungen nutzen und somit belebte Orte geschaffen würden.

Nachtaufnahme eines beleuchteten Gebäudes mit einem gläsernen Treppenhaus.
Legende: Beim Parkhaus «Nanna» wurde kurzerhand ein gläsernes Treppenhaus angebaut. SRF / Felicie Notter

Ein anderes Beispiel sind Parkhäuser – normalerweise nicht gerade Orte, an denen sich Frauen besonders gerne aufhalten. Würden diese neu gebaut, achte man in Umeå auf eine durchmischte Nutzung, um sie belebt zu halten: Wie im Parkhaus «Navet», wo dasselbe Gebäude gleichzeitig ein Schwimmbad mit langen Öffnungszeiten beherbergt. Beim älteren Parkhaus «Nanna» wurde kurzerhand ein gläsernes Treppenhaus angebaut, mit Durchblick von oben bis unten.

Frauen fahren Bus

Für ihre Arbeit stützt sich Linda Gustafsson auf Befragungen und die Analyse von Verhaltens- und Bewegungsmustern. Es zeigt sich: Frauen nutzen öfter den öffentlichen Verkehr als Männer. Darum wird dieser – in der links regierten Stadt – nicht nur aus Umweltgründen gefördert.

Person fährt nachts Fahrrad auf einer verschneiten Velospur.
Legende: Buspuren, Geh- und Velowege werden jeweils zuerst von Schnee geräumt, erst dann folgen die Autostrassen. SRF / Felicie Notter

Besondere Aufmerksamkeit gilt der Gestaltung sicherer Bushaltestellen. Und auch bei der Schneeräumung werden Busstationen, Geh- und Velowege priorisiert. Ob sich Männer dadurch benachteiligt fühlten? «Das hilft nicht nur Frauen, sondern allen, die kein Auto haben», sagt Gustafsson. Nachdem die Wege und Busspuren geräumt wurden, seien ohnehin auch die anderen Strassen an der Reihe.

Woher kommt Umeås Fokus auf Frauen?

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Eine rote Statue, ein Panther mit weit geöffneter Schnauze, vor einem historischen Gebäude bei Nacht.
Legende: Die Statue «Listen» steht mitten auf dem Rathausplatz und ist Symbol dafür, dass die Sicherheit für Frauen hier eine Priorität ist. Sie steht für die «Me Too»-Bewegung und ist laut der Stadt Umeå die einzige von der öffentlichen Hand in Auftrag gegebene «Me Too»-Statue der Welt. SRF / Felicie Notter

Umeå stellt die Frauen nicht nur punkto Sicherheit ins Zentrum. Es gibt etwa auch ein Museum eigens für die Geschichte der Frauen. Auch die weibliche Musikszene ist gross. Die ganze DNA der Stadt scheint von der Frauenperspektive geprägt zu sein.

Rote Universität, linke Stadt

Ein Grund dafür liegt in der Bedeutung der Universität Umeå für die Stadt. Erst in den 1960er Jahren gegründet, wurde sie wegen der vielen Studierenden aus dem Arbeitermilieu auch «die Rote» genannt. Die Universität hat sich auf die Entwicklung der Stadt ausgewirkt: «Die Universität war ein Motor für die Priorität der Gleichstellung in der Stadt», sagt Maria Carbin, Professorin am Lehrstuhl für Gender Studies – notabene der erste seiner Art in Schweden. An der Uni selber fliesse die Sicht der Frauen etwa auch in Medizin- oder Technikfächer ein. «Viele der Angestellten der öffentlichen Verwaltung haben bei uns Kurse besucht. Zwischen der Uni und der Stadt besteht ein ganzes Netzwerk», so Carbin. Umeå sei seit Jahrzehnten eine Hochburg der Sozialdemokraten. Dazu komme eine Frauenbewegung, die ebenfalls sowohl an der Uni als auch in der Stadt verankert gewesen sei.

Prägender Kriminalfall

Die breite Akzeptanz für Massnahmen für mehr Sicherheit im öffentlichen Raum lässt sich auch mit einem Kriminalfall vor rund 20 Jahren erklären. Damals sorgte ein Serienvergewaltiger für Angst und Schrecken in Umeå. Als er nach mehreren Jahren endlich überführt wurde, war der Schock gross: «Es war ein scheinbar normaler Familienvater – nicht jemand vom Rand der Gesellschaft oder aus einer bestimmten Gruppe», erklärt Linda Gustafsson, Gleichstellungsbeauftragte von Umeå. So habe man das Problem nicht verdrängen können. «Das hat gezeigt, dass Massnahmen grundlegend notwendig sind.»

Zahlen dazu, inwiefern sich das Sicherheitsempfinden durch die konkreten Massnahmen verändert, liegen der Stadt keine vor. Und natürlich könnte die Bauweise alleine keine Verbrechen verhindern, sagt Gustafsson. Insgesamt aber habe Umeå eine im landesweiten Vergleich tiefe Kriminalitätsrate. Und: «Frauen empfehlen anderen Frauen, im Umeå zu leben.» Die Stadt gilt derzeit als lebenswerteste Stadt Schwedens – und das nicht nur für Frauen.

«10 vor 10»-Serie «Moderner Städtebau»

10 vor 10, 30.12.25, 21:50 Uhr

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